Der Entscheid sorgte bei den in die Schweiz geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern für Aufatmen: Der Schutzstatus S gilt mindestens bis März 2025, sollte sich die Lage in der Ukraine nicht massgeblich verbessern. Das hat der Bundesrat auf Antrag der damaligen Asylministerin Elisabeth Baume-Schneider (60) im November entschieden.
Allerdings kommt der derzeit für rund 65'000 Personen geltende Schutzstatus S zunehmend unter Beschuss – selbst im Bundesrat, wie nun verwaltungsinterne Dokumente belegen, die Blick gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz erhalten hat.
«Differenzierter Ansatz» für Schutzstatus
An vorderster Front stellt SVP-Bundesrat Albert Rösti (56) den Schutzstatus infrage. So beantragte sein Generalsekretär Yves Bichsel (52) in der Ämterkonsultation, «von einem pauschalen zu einem differenzierten Ansatz zu wechseln». Für Personen aus Gebieten, die «von der Kriegsfront weit entfernt» liegen, sollte ab diesem Frühjahr der Status S mit einer angemessenen Frist auslaufen – und deren Rückkehr mit geeigneten Massnahmen gefördert werden.
Ein solcher Ansatz trage der konkreten Lage vor Ort besser Rechnung. «Aufgrund der Grösse des Landes sind weite Gebiete wenig oder gar nicht von Kampfhandlungen betroffen», argumentierte Bichsel. Die Kämpfe würden sich auf gewisse Gebiete beschränken. Und: «Der Frontverlauf ist seit vergangenem Spätherbst weitgehend unverändert geblieben.» Bichsel spricht denn auch von einer Stabilisierung der Lage. «Dies wird auch durch den Umstand unterstrichen, dass Tausende von Ukrainern wieder in ihre Heimat zurückkehren.»
Auch die finanzielle Tragweite und die ausländerpolitische Dimension spreche für eine baldige Rückkehr, mahnte Bichsel. Letzteres liege auch im Interesse der Ukraine selbst, um einen Zusammenbruch von Wirtschaft und Gesellschaft zu verhindern und Normalität aufrechtzuerhalten.
Gewalt jederzeit überall möglich
Eine nachhaltige Stabilisierung der Lage, geschweige denn ein Ende des Kriegs seien zurzeit nicht absehbar, hielt das Staatssekretariat für Migration (SEM) in seinem Aussprachepapier-Entwurf dagegen. Zwar teilte das SEM die Lage in der Ukraine in verschiedene Kategorien ein: in Regionen, die ganz oder teilweise durch Russland besetzt sind; in Regionen, in denen mehr oder weniger intensive Kampfhandlungen stattfinden, und schliesslich in Regionen unter ukrainischer Kontrolle, in denen keine Kampfhandlungen stattfinden.
«Jedoch kommt es auch in den letztgenannten Regionen zu russischen Angriffen mit Fernkampfwaffen, bei denen regelmässig auch zivile Ziele getroffen und zivile Opfer zu beklagen sind», warnte die Behörde. «Russland kann auch in diesen Regionen die Gewalt jederzeit und sehr rasch eskalieren lassen.» Die Fluchtbewegungen aus der Ukraine hinaus dürften daher ebenso anhalten wie die Rückkehr geflohener Personen.
Diese Überlegungen überzeugten die Mehrheit in der Landesregierung. Rösti, der die Forderung nach einer Schwächung des Schutzstatus auch in den Bundesrat eingebracht hatte, und sein Generalsekretär Bichsel liefen auf.