Julia Tkatschenko (37) ist besorgt. «Ich will nicht zurück in die Ukraine», sagt die Ukrainerin. In Uster ZH wolle sie sich integrieren, Deutsch lernen und hart arbeiten.
Die Mutter eines fünfjährigen Sohns fürchtet um ihre Zukunft. Noch darf sie in der Schweiz bleiben, dank Schutzstatus S, den alle ukrainischen Flüchtlinge erhalten haben. Dieser gilt vorerst bis März 2024, wahrscheinlich wird ihn die Schweiz bald um ein Jahr verlängern.
Doch Tkatschenko beunruhigt, dass die Schweiz schon plant, was mit den Ukrainerinnen und Ukrainern nach einer Aufhebung des S-Status geschieht. Vergangenen Freitag wurde das Rückkehr-Konzept vom Bundesrat diskutiert, obwohl noch immer Bomben auf Städte wie Charkiw fallen. «Es gibt viele Waffen im Land, ich möchte nicht in Gefahr sein.»
«Konzept sendet ein falsches Signal»
Andrej Lushnycky (53), Präsident des ukrainischen Vereins Schweiz und Honorarkonsul der Ukraine, hat für den Bund Verständnis. «Ein Konzept zu haben, ist wichtig. Sonst müssen die Behörden improvisieren, wenn es so weit kommt.»
Doch dieses Konzept sende ein falsches Signal, sagt er. «Während die Schweiz die Rückführung vorantreibt, entwickelt sich die Unterstützung der Ukraine schleppend.» Im Verhältnis zu jedem Franken, den die Schweiz bisher an die Ukraine gespendet hat, erhielt der russische Staat 17 Franken an Steuergeldern durch Schweizer Unternehmen. So besagt es eine Analyse des internationalen Netzwerks B4Ukraine aus dem Jahr 2022.
«Bund wirkt wie gelähmt»
Die Schweiz könnte bei der humanitären Hilfe eine Führungsrolle übernehmen, findet Lushnycky. «Doch der Bund wirkt wie gelähmt.» Die Regierung schaue zu, wie die anderen Staaten agieren, statt eine klare Linie zur Unterstützung der Ukraine zu verfolgen.
Ähnlicher Meinung ist GLP-Nationalrat Martin Bäumle (59), der seit längerem mit einer Ukrainerin verheiratet ist. Für ihn hat das Rückkehr-Konzept zu viele offene Fragen und Unklarheiten, weshalb der Bund nochmals über die Bücher müsse.
Beispielsweise kritisiert Bäumle das fiktive Basisszenario, auf das sich alle Erläuterungen im Konzept stützen. Dieses besagt: «Die Intensität der Kämpfe hat abgenommen. Die Fronten haben sich verfestigt. Russland hat die Angriffe auf ukrainische Städte eingestellt. Einzig an der unmittelbaren Frontlinie kommt es noch sporadisch zu Gefechten.»
Zu viele Risiken
Das bedeutet: Der Bund würde eine Rückkehr in die Wege leiten, ohne dass der Krieg beendet wäre. Das sei undenkbar, findet Bäumle. «Eine Rückkehr ist erst ab einem kompletten Waffenstillstand möglich.» Sonst würden zu viele Risiken bestehen.
Auch die Schweizer Flüchtlingshilfe findet, dass der Bund den Status S erst nach Kriegsende aufheben soll. Und: «Eine allfällige Aufhebung müsse sorgfältig geprüft werden.» Dass der Bund in einer Planungsphase Konzepte entwirft, sei jedoch üblich. Insbesondere, da der Status S zum ersten Mal angewendet wurde.
Ukrainerinnen wie Julia Tkatschenko müssen zurzeit also nicht befürchten, dass sie demnächst zurückgeschickt werden. Doch eines Tages wird es so weit sein.