Es kann Bund und Kantonen kaum schnell genug gehen. Der Schutzstatus S, den Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in der Schweiz geniessen, könnte frühestens kommenden Frühling oder im Frühjahr 2025 aufgehoben werden. Ist es so weit, sollen die Geflohenen unser Land rasch verlassen. So empfiehlt es das Umsetzungskonzept zur Aufhebung des S-Status, das der Bundesrat am Freitag beriet – und über das Blick verfügt.
Dank des Schutzstatus erhalten aus der Ukraine Geflüchtete unkompliziert und ohne Asylverfahren bei uns ein Aufenthaltsrecht. Sie können sofort eine Arbeit suchen, die Kinder dürfen die Schule besuche. Ukrainern ist es auch erlaubt zu reisen. Der Status gilt aktuell bis zum 4. März 2024. Die Chance ist aber da, dass ihn auch die Schweiz ein letztes Mal bis 2025 verlängert, wie das die EU getan hat.
Krieg soll abebben
Brisant: Zwar wird im Konzept, an dem Bund und Kantone beteiligt waren, nie ausdrücklich festgehalten, dass man mit einem baldigen Abebben des Kriegs rechnet. Im Konzept, das noch von der vormaligen Justizministerin Karin Keller-Sutter (59) angestossen wurde, gewinnt der Leser diesen Eindruck jedoch. So heisst es im fiktiven «Basisszenario»:
«Die Intensität der Kämpfe hat abgenommen. Die Fronten haben sich verfestigt. Russland hat die Angriffe auf ukrainische Städte eingestellt. Einzig an der unmittelbaren Frontlinie kommt es noch sporadisch zu Gefechten. Der Konflikt hat sich in einen Stellungskrieg mit kaum nennenswerten Gebietsgewinnen verwandelt. Russland kontrolliert den Oblast Luhansk (östlichster Teil der Ukraine, Anmerkung der Redaktion) weitestgehend, sowie Teile der Oblaste Donezk, Saporischschja und Cherson.»
Aufenthaltsbewilligungen vermeiden
Für die Rückkehr der ukrainischen Kriegsflüchtlinge werden zwei Varianten geprüft. Erstens gestaffelte Ausreisefristen für verschiedene Gruppen, die von drei bis neun Monaten reichen. Zweitens eine fixe Frist für alle.
In seinem «Basisszenario» rechnet der Bund damit, dass von etwa 90'000 Ukrainerinnen und Ukrainern in der Schweiz 70'000 ausreisepflichtig wären. Nach der Aufhebung des S-Status würden rund 56'000 freiwillig zurückreisen, 14'000 nicht.
Die Ausreisebereitschaft dürfte aber kleiner werden, je länger der Schutzstatus bestehen bleibt. Bei einem ununterbrochenen Aufenthalt von 5 Jahren besteht zudem die Möglichkeit, eine Aufenthaltsbewilligung zu bekommen. Doch genau das wollen Bund und Kantone offenbar vermeiden.
Wirtschaft braucht Lehrlinge
Das Projektteam empfiehlt eine einheitliche Ausreisefrist für alle von sechs bis neun Monaten, mit einer Ausnahme für Lehrlinge. Sie sollen vorerst bleiben und ihre Ausbildung abschliessen können – nicht, weil man auf diese unbedingt Rücksicht nehmen will, sondern, weil die fürs Papier konsultierte Schweizer Wirtschaft sie braucht. «Bei den Betrieben stehen in vielen Wirtschaftsbranchen Lehrstellen frei. Es besteht ein echter Mangel an Arbeitskräften», heisst es wörtlich im Konzept.
Als Spezialfall dürften auch betagte Leute sowie minderjährige Jugendliche, die ohne Eltern in die Schweiz gereist sind, sowie Personen mit schweren medizinischen Problemen gelten. Ihre Rückkehr soll erst in einer zweiten Phase angegangen werden. Besondere Rücksicht genommen werden soll auf die Waisenkinder, die von der Schweiz aufgenommen wurden. «Ihre Rückkehr muss zu gegebener Zeit sehr sorgfältig und in enger Koordination mit den ukrainischen Behörden geplant werden», heisst es. Dennoch ist bemerkenswert, dass die Schweiz jetzt schon daran denkt, die Waisenkinder wieder in die Ukraine zurückzuführen.
Selbst über Rückschaffungsflüge macht sich die Schweiz Gedanken. Rund ein Drittel der Ausreisen soll auf dem Luftweg erfolgen. Diese Flüge könnten auch in die ukrainischen Nachbarländer gehen, sollten die Flughäfen der Ukraine noch nicht bereitstehen. Ein weiteres Drittel möchte die Schweiz per Bus in die Ukraine zurückbringen. Die restlichen gut 23'000 Personen sollten per Bahn zurückreisen.
Aufhebung geht ins Geld
Um den Ukrainern den Start in der Heimat zu erleichtern, will der Bund auch Rückkehrhilfen zahlen. Für Familien soll es in einer ersten Phase maximal 9000 Franken geben. Reist sie erst zum spätestmöglichen Zeitpunkt zurück, soll sie noch maximal 7000 Franken. Solch abnehmende Ansätze – je später man geht, desto weniger Geld kriegt man – kennt die Schweiz von den Balkan-Flüchtlingen her.
Die Aufhebung des Schutzstatus geht ins Geld. Im Konzept gibt es eine Erstschätzung der Kosten: Für die Rückkehrhilfen rechnet man je nach Variante mit 123 beziehungsweise 191 Millionen Franken. Ausserdem müsste das Staatssekretariat für Migration zur Bewältigung deutlich mehr Mitarbeiter anstellen. Bei sechs Monaten Ausreisefrist sind es 248 Vollzeitstellen, bei zwölf Monaten 141 Stellen. Der Bericht gibt aber zu bedenken, dass der Personalbedarf «in Relation zu den erheblich kostenintensiveren Sozialhilfe- und Integrationskosten gesetzt werden muss, die bei einem Verbleib anfallen würden.»
Alles scheint aufgegleist. Muss sich nur noch Russland ans Schweizer Umsetzungskonzept halten.