Nach dem Angriff der Russen auf die Ukraine aktivierte die Schweiz im März 2022 erstmals den Schutzstatus S. Dieser ermöglicht den aus der Ukraine Geflüchteten – mehrheitlich Frauen und Kinder –, kein aufwendiges Asylverfahren durchlaufen zu müssen. Sie erhalten schnell eine befristete Aufenthaltsbewilligung, dürfen reisen und rasch eine Erwerbstätigkeit aufnehmen.
So war jedenfalls die Idee. Doch ein Blick auf die aktuelle Asylstatistik zeigt, dass die schnelle Bearbeitung ins Stocken geraten ist. Die zuständigen Mitarbeitenden im Staatssekretariat für Migration (SEM) haben im vergangenen Herbst deutlich weniger Gesuche von Ukrainerinnen gutgeheissen, als eingegangen sind.
Konkret konnten im Oktober 800 Gesuche weniger erledigt werden, als eingereicht wurden. Im November waren es über 700 Dossiers von Ukrainerinnen und Ukrainern, die aufgeschoben wurden.
Mehr Gesuche im März bewilligt
So stellten im November 2023 fast 2000 Personen aus der Ukraine ein Gesuch in der Schweiz. Positive Rückmeldung erhielten in diesem Monat nur knapp 1000. 112 Anträge wurden abgelehnt.
Es ist nicht so, dass die zuständigen Migrationsmitarbeitenden im Oktober oder November mit mehr Gesuchen aus der Ukraine konfrontiert waren als zuvor. Beispielsweise stellten auch im März 2023 mehr als 2000 Personen ein Gesuch um den Schutzstatus S. Doch im März konnte das SEM rund 2000 Gesuche erledigen, also gleich viele, wie Anträge eingegangen waren.
Mehr Gesuche aus der Türkei
Was ist also passiert beim zuständigen SEM? Man habe «aus Kapazitätsgründen» – aufgrund der hohen Anzahl an Asyl- und Schutzgesuchen – weniger Anfragen von Ukrainerinnen und Ukrainern beantworten können, heisst es dort auf Anfrage.
Die Zahl der Gesuche um Asyl im ordentlichen Verfahren hat im Spätsommer und Herbst stark zugenommen, ist aber zuletzt wieder etwas gesunken, wie das SEM Ende 2023 mitteilte.
Man verfüge nicht über Personal auf Abruf, das sich bei einem sprunghaften Anstieg von Asyl- oder Schutzgesuchen einsetzen liesse. «Wir konnten und können zwar zusätzliches Personal zur Bewältigung der aktuellen Migrationswelle rekrutieren, aber dieses Personal muss zuerst in diese verantwortungsvolle Aufgabe eingearbeitet werden», heisst es beim SEM weiter.
Im Oktober 2023 sind in der Schweiz 3515 reguläre Asylgesuche eingegangen. Das sind 307 mehr als im Jahr davor, also rund neun Prozent.
Gleichzeitig hatten die Behörden im Oktober 2023 mit etwa 350 weniger Gesuche aus der Ukraine zu tun als im Jahr davor. Im Oktober 2023 stellten knapp 2500 Personen einen Antrag für den Status S.
Auch wenn die Bearbeitung von Asylanträgen aufwendiger ist als diejenige der Status-S-Gesuche, ist derzeit nur teilweise nachvollziehbar, warum das SEM wieder Pendenzen aufbaut.
Einschulung der Kinder verzögere sich
Dass die Migrationsbehörden derzeit mit der Bearbeitung der Gesuche nicht mehr vollständig nachkommen, bedeutet nichts Gutes für die geflüchteten Menschen. Denn auch angesichts der neusten Angriffe Russlands könnten wieder vermehrt Schutzbedürftige aus der Ukraine in anderen Teilen Europas Unterschlupf suchen.
Auch bei der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) sorgt die schleppende Beantwortung der ukrainischen Gesuche für Stirnrunzeln: «Für die Betroffenen bedeutet dies, dass sie länger in den Kollektivunterkünften bleiben und erst später auf die Kantone verteilt werden, wo sie zum Beispiel in Gastfamilien untergebracht werden und arbeiten könnten», sagt SFH-Sprecher Lionel Walter. Selbst die Einschulung der Kinder verzögere sich deshalb. «Wir bedauern diese Situation, haben aber Verständnis dafür, dass das SEM mit den derzeitigen Ressourcen nicht schneller arbeiten kann.» Bei den Flüchtlingsorganisationen sorgt man sich aber darum, was passiert, wenn plötzlich wieder ähnlich viele ukrainische Staatsbürger bei uns Schutz suchen, wie das im Frühjahr 2022 der Fall war.
Kurz- und mittelfristig dürfte der Migrationsdruck nicht abnehmen. Die Unterkünfte für Asylsuchende waren in den vergangenen Monaten zeitweise am Anschlag.