«Heute Morgen am Bahnhof hat mich ein alter Mann verfolgt und mir hinterhergerufen, ob ich ‹eine Frau oder ein Mann› bin, mich als ‹Kampflesbe› bezeichnet und gesagt, dass man mir ‹einen Schuss durch den Kopf geben sollte›. Passanten haben nichts dergleichen getan. Ich konnte dann zum Schluss in einen Zug einsteigen und ihn loswerden.»
«Ich war für eine Performance in Drag mit einer Gruppe auf der Strasse als Teil eines Kunstspaziergangs. Ein Mann ist auf mich zugekommen, hat mir ins Gesicht gespuckt und ist davongerannt.»
«An einem Dorffest wurde ich von einer männlichen Person mehrmals als ‹Lesbe›, ‹nonbinäre Fotze›, ‹Fotze› und ‹scheiss Zägg› (‹scheiss Zecke›) beschimpft. Zudem kam er mir körperlich sehr nahe und fragte mehrmals: ‹Soll ich dir ins Gesicht langen?›, was ich als Androhung von physischer Gewalt wahrnahm.»
Solche Beschimpfungen müssen Lesben, Schwule, bisexuelle, Trans-, intersexuelle und queere Personen über sich ergehen lassen. Die Schilderungen stammen aus dem Hate-Crime-Bericht, den die Organisationen Pink Cross, Lesbenorganisation Schweiz (LOS), Transgender Network Switzerland (TNS) am Freitag veröffentlicht haben.
Demnach hat sich die Zahl der LGBTQ-feindlichen Hate Crimes im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt, von 134 auf 305 Fälle. Das ist ein massiver Anstieg und bedeutet, dass fast ein Hate Crime pro Tag gegen Personen der LGBTQ-Gemeinschaft verübt worden ist.
64 Personen meldeten körperliche Gewalt
Knapp 70 Prozent der Fälle waren Beschimpfungen und Beleidigungen. 64 Personen erlitten körperliche Gewalt, was 21 Prozent der Meldungen entspricht. Mehr als die Hälfte der Übergriffe wurden im öffentlichen Raum verübt. Zur Anzeige gebracht wurden nur 15 Prozent – aus Angst, von der Polizei abgelehnt zu werden, Angst vor den Tätern in einem möglichen Prozess und fehlendem Wissen.
40 Prozent der Meldungen machten trans Personen (binär und nicht binär) – ein neuer Höchststand. Wie im Vorjahr waren in gut einem Viertel aller Fälle (28 Prozent) nicht binäre Personen betroffen. Zwei Drittel der Meldenden waren unter 30 Jahre alt.
Keine nationale Statistik
Die Zahlen stammen von der LGBTQ-Helpline, auf der seit 2016 Beschimpfungen, Herabwürdigungen, Gewalt und Diskriminierung gemeldet werden können. Laut den drei Organisationen füllt die Helpline eine Lücke, denn eine nationale Statistik fehlt bis heute und nur die wenigsten Kantone erfassen LGBTQ-feindliche Tatmotive.
Und so hat auch die Helpline-Statistik ihre Grenzen: Fast die Hälfte der Fälle stammt aus dem Kanton Zürich, gefolgt von Bern, St. Gallen, Aargau und Waadt. Der Vergleich mit den Meldestellen «Zürich schaut hin» und «Bern schaut hin» sowie mit den einzelnen, regionalen polizeilichen Erfassungen zeigt aber teils grosse Unterschiede.
Pink Cross, LOS und TNS gehen denn auch davon aus, dass die tatsächliche Anzahl an Hate Crimes um ein Vielfaches höher ist. Sie fordern daher systematische statistische Erfassungen bei allen Polizeikorps und Untersuchungen, um das Ausmass an Hass und Gewalt gegen LGBTQ-Personen zu erfassen. Zudem fordern sie Präventionsmassnahmen, Weiterbildung von Strafverfolgungsbehörden und Opferhilfestellen sowie Schutzunterkünfte für Betroffene.
«Fast alle Angebote der LGBTQ-Dachverbände sind prekär finanziert über private Spenden und Stiftungsbeiträge – auch die LGBTQ-Helpline. Der Staat hingegen zieht sich aus seiner Verantwortung und lässt Betroffene und Ratsuchende im Regen stehen. Das muss sich nun endlich ändern!», fordert Roman Heggli von Pink Cross.