Santésuisse-Direktorin Verena Nold zur Kostenexplosion im Gesundheitswesen
«Das Parlament verhindert wirksame Sparmassnahmen»

Santésuisse-Direktorin Verena Nold unterstützt die Kostenbremse-Initiative, über die am 9. Juni abgestimmt wird. Im Blick-Interview sagt sie, wo es Sparpotenzial gibt. Und sie schlägt vor, eine Pflegeversicherung einzuführen, um die Gesundheitskosten im Zaum zu halten.
Publiziert: 30.04.2024 um 00:13 Uhr
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Aktualisiert: 30.04.2024 um 07:18 Uhr
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Eine Spitex-Mitarbeiterin reinigt und kontrolliert die Füsse eines Seniors. Die Pflegekosten sollen nicht mehr über die Krankenversicherung bezahlt werden. Das fordert Santésuisse-Direktorin Verena Nold. (Symbolbild)
Foto: Keystone
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Sermîn FakiPolitikchefin

Blick: Frau Nold, Sie haben sich für die Kostenbremse-Initiative der Mitte-Partei ausgesprochen und stehen damit allein auf weiter Flur.
Verena Nold:
Das ist sehr schade. Seit Jahren klagt die Politik, dass sich eine normale Familie die Prämien nicht mehr leisten kann. Und gleichzeitig verhindert das Parlament seit Jahren wirksame Sparmassnahmen: Die Kostendämpfungspakete, die Bundesrat Alain Berset vorgeschlagen hatte, wurden vom Parlament so verwässert, dass nun sogar die Gefahr von Mehrkosten droht.

Und die Kostenbremse ist eine wirksame Massnahme?
Zumindest erhöht sie den Druck auf Bund und Kantone, Massnahmen gegen das stetige Kostenwachstum einzuleiten: Wird die Initiative angenommen, muss sofort gehandelt werden. Auch dieses Jahr sieht es nämlich so aus, als würden die Kosten in der Grundversicherung wieder stärker steigen als die Löhne. Januar und Februar lagen die Kosten fast sieben Prozent höher als in der gleichen Zeitperiode des Vorjahres.

Die Gegner der Initiative warnen vor Zweiklassenmedizin und Rationierung.
Das ist Angstmacherei! Es gibt viel Luft im System. Bei den Spitälern haben wir immer noch viel zu viele – so hat jedes Täli sein Spitäli, das ist auch für die Qualität der Behandlungen schlecht. Wenn jetzt beispielsweise St. Gallen auch noch ein Herzzentrum möchte, dann ist das für die Qualität und die Kosten ein Unding. Deshalb haben wir uns hier zugunsten der Versicherten mit einer Beschwerde gewehrt. Da kann man wirklich nicht von einer Zweiklassenmedizin reden. Oder zum Beispiel die Laboranalysen: Die sind im Ausland nur halb so teuer wie in der Schweiz. Zusammen mit Preisreduktionen bei den überteuerten Medikamenten in der Schweiz lässt sich ohne Gesetzesänderung eine Milliarde Franken pro Jahr sparen. Das sind knapp drei Prämienprozente! 

Aber in der Schweiz sind die Lohn- und anderen Kosten auch höher als im Ausland. Dumpinglöhne wollen wir nicht, zumal ohnehin Fachkräftemangel herrscht.
Auch wir wollen keine Dumpinglöhne. Dazu ein Beispiel: In der Schweiz zahlen wir doppelt so viel für Generika wie im europäischen Ausland. Und hier kann man nicht mit den Schweizer Löhnen argumentieren: Die Medikamente kommen aus der gleichen Fabrik in Indien oder Pakistan – egal, ob sie nun bei uns oder in Deutschland verkauft werden. Das ist reine Kaufkraftabschöpfung! Der Bund wollte deshalb ein Referenzpreissystem für Generika einführen, ist aber am massiven Lobbying der Pharmaindustrie und Ärzte gescheitert. Das Problem ist aber auch, dass sich die Grundversicherung immer mehr zu einer Vollkaskoversicherung entwickelt.

Wie meinen Sie das? Wollen Sie den Leistungskatalog zusammenstreichen?
Der Trend geht Richtung Ausweitung des Leistungskatalogs und nicht ins Gegenteil, das müssen wir endlich stoppen. Aber ja, wir dürften tatsächlich wieder einmal die Diskussion führen, ob wirklich alle Leistungen in die Grundversicherung gehören. Aber eigentlich geht es mir um etwas anderes: Die Krankenversicherung ist eine Versicherung für Krankheiten. Doch heute werden alleine von den Versicherern bereits über drei Milliarden Franken für die Langzeitpflege ausgegeben.

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Dieser Kostenblock dürfte angesichts der Alterung der Gesellschaft noch grösser werden.
Ja, die Kosten dafür werden massiv steigen und die Grundversicherung belasten. Zumal das Parlament in die grosse Reform zur einheitlichen Finanzierung von stationären und ambulanten Leistungen auch die Pflege integriert hat. Wir gehen davon aus, dass die Prämienzahler 2035 aufgrund dieses Entscheids fünf Milliarden Franken mehr bezahlen müssten, als wenn man darauf verzichtet hätte; 2040 gar zehn Milliarden mehr. Das ist nicht mehr tragbar, wir brauchen da neue Lösungen.

Wie könnten die aussehen?
Das muss die Politik entscheiden. Aber in Deutschland zum Beispiel wird die Pflege über eine Pflegeversicherung finanziert, die sich wie die AHV aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen zusammensetzt.

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