Preisschub ohne Ende: Die Inflation stieg im August auf hohe 3,5 Prozent. Während der Kaufkraftverlust viele Menschen in Wallung bringt, bewahrt der Bundesrat ruhig Blut. «Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die bisherigen Preissteigerungen für die Haushalte verkraftbar sind», liess die Regierung letzte Woche verlauten.
Auch bei den Rentnerinnen und Rentner will der Bundesrat knausern. 2023 steht zwar offiziell eine Rentenanpassung an. Von einem vollen Teuerungsausgleich bei AHV- und IV-Renten sowie den Ergänzungsleistungen will er aber nichts wissen. Entsprechende Vorstösse aus den Reihen von Mitte und SP lehnt er ab.
Verglichen mit anderen Ländern sei die Inflation hierzulande moderat, schreibt der Bundesrat zu den Vorstössen. Er verweist auf den sogenannten Mischindex: Demnach werden die Renten alle zwei Jahre der Lohn- und Preisentwicklung angepasst. Bloss, in den letzten Jahren stagnierten die Löhne.
Der Bundesrat räumt denn auch ein, dass «die Rentenanpassung 2023 gemäss dem Mischindex die Teuerung möglicherweise nicht vollständig auszugleichen vermag». Dass das Lohnniveau weniger rasch ansteige als das Preisniveau, «dürfte jedoch eine Ausnahme bleiben», glaubt die Regierung. Ein Abweichen vom geltenden System sei daher «nicht angezeigt».
Eine Monatsrente weg
Den Rentnerinnen und Rentnern bleibt also weniger im Portemonnaie. Nicht nur, dass bei der AHV geknausert wird. In der zweiten Säule dürfte ein Teuerungsausgleich vielerorts gleich gänzlich ausbleiben. Gemäss neuen Berechnungen des Gewerkschaftsbundes (SGB) erwartet ein durchschnittliches Rentnerpaar bis 2024 ein Kaufkraftverlust von monatlich 450 bis 500 Franken. Die Teuerung frisst damit eine ganze Monatsrente weg, wie der SonntagsBlick jüngst berichtete.
Dass die Regierung bei den AHV-Renten die Teuerung nicht vollständig ausgleichen mag, verärgert die Gewerkschaften umso mehr. «Der Bundesrat lässt die Rentnerinnen und Rentner im Stich», sagt SGB-Chefökonom Daniel Lampart (53) zu Blick.
Dabei habe die Regierung den Sommer über genügend Zeit gehabt, sich um die Problematik zu kümmern. «Obwohl die Teuerungsprognosen von verschiedenen Seiten nach oben revidiert wurden, hat der Bundesrat einfach nichts gemacht.»
Mitte-Bregy: «Unverständlich»
Kopfschütteln löst der Bundesratsentscheid auch bei Mitte-Fraktionschef Philipp Matthias Bregy (44) aus. «Die steigenden Lebenskosten treffen gerade auch die Rentnerinnen und Rentner», sagt der Walliser Nationalrat. Mit dem sofortigen und vollständigen Teuerungsausgleich könne Rentenbezügern rasch geholfen werden. «Umso unverständlicher ist es deshalb, dass der Bundesrat nicht helfen will.».
Der Bundesrat habe mit der Ablehnung der Motion eine Chance verpasst. «Jetzt muss halt das Parlament entsprechend korrigieren», zeigt er sich kämpferisch. «Die Mitte lässt nicht zu, dass der Bundesrat tatenlos zuschaut, wie die Kaufkraft schwindet.»
In der Herbstsession kommen die Vorstösse ins Parlament. Die Ausmarchung wird aber zur Zitterpartie. Im Nationalrat kommen Mitte, SP und Grüne genau auf 100 von 200 Stimmen – da können schon einzelne Abweichler den Ausschlag geben. Im Ständerat ist die Mitte-links-Mehrheit mit 27 von 46 Stimmen komfortabler.
Präzedenzfall von 1990
Es wäre übrigens nicht das erste Mal, dass der Bund notfallmässig einen AHV-Teuerungsausgleich gewährt. Lampart verweist auf einen Präzedenzfall: «1990 wurden die Renten schon einmal im Eilverfahren angehoben», sagt er.
Damals wurde in der Wintersession eine ausserordentliche Teuerungszulage von 6,25 Prozent durch die Räte gepeitscht. Nach Ablauf der Referendumsfrist wurde der Zuschlag ab April 1991 in zwei Raten ausbezahlt.