Protokolle zeigen, wie Lecks die Verwaltung auf Trab hielten
Sogar der Bundeskanzler schaltete sich ein

Bundespräsident Alain Berset will nichts von Indiskretionen gewusst haben. Bei den Mediensprechern waren sie jedoch ein Dauerthema, wie interne Protokolle zeigen. Vizekanzler André Simonazzi warnte schon 2020 vor einem Vertrauensverlust in die Regierung.
Publiziert: 29.01.2023 um 00:02 Uhr
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Aktualisiert: 29.01.2023 um 10:06 Uhr
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Bundeskanzler Walter Thurnherr (l.) warnte im Dezember 2020 die Departementssprecher und Generalsekretäre vor weiteren Indiskretionen.
Foto: keystone-sda.ch
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Die Affäre um die Indiskretionen aus dem Gesundheitsdepartement kennt viele Verlierer. Betroffen ist auch die Zunft der Kommunikationsleute der öffentlichen Verwaltung. Sie stehen seit den publik gewordenen Mails von Alain Bersets (50) ehemaligem Sprecher Peter Lauener (52) unter Generalverdacht, das Vertrauen scheint weg.

Und seit der Bundespräsident am Mittwoch verlautbaren liess, dass er keine Kenntnis von den Aktivitäten seines einstigen Intimus gehabt habe, reiben sich Beobachter die Augen – waren die offensichtlichen Lecks im Gesundheitsdepartement nie eine Besprechung wert?

Wie sich jetzt herausstellt, waren die Interna, die in den Medien landeten, in der Bundesverwaltung durchaus ein Thema. Mehr noch: Bei manchen Departementssprechern müssen die Nerven blank gelegen haben.

Das zeigen Protokollauszüge der Konferenz der Informationsdienste (KID) aus den Jahren 2019 bis 2022, die SonntagsBlick vorliegen. Bei der KID handelt es sich um ein monatliches Treffen aller Informationsverantwortlichen der Departemente, der Bundeskanzlei (BK) und der Parlamentsdienste. Geleitet wird das Gremium von Vizekanzler und Bundesratssprecher André Simonazzi (55).

Das Thema Indiskretionen war im Zeitraum von 2019 bis 2022 mindestens sechsmal traktandiert. Im Fokus standen längst nicht nur Gesundheitsthemen und Bersets Mann Peter Lauener (52).

In der KID-Sitzung vom 18. April 2019, also noch vor Ausbruch der Corona-Pandemie, heisst es: «Das Thema Indiskretionen wird erneut angesprochen.» Damals beliess es Simonazzi bei einem Appell. Jeder müsse selber intern für die Einhaltung der «Spielregeln» sorgen, «nämlich dass Indiskretionen nicht akzeptabel sind und nichts zur Glaubwürdigkeit der Regierung beitragen». Am Tag zuvor hatte die «NZZ» im Zusammenhang mit der Debatte über verdeckte Observationen durch Sozialversicherungen zu berichten gewusst, dass der Bundesrat an der entsprechenden Verordnung «dem Vernehmen nach Änderungen plant».

Auch am 29. August 2019 fühlt sich Simonazzi erneut zu einer Ermahnung bemüssigt: «Die Departemente werden darauf aufmerksam gemacht, dass der Bundesrat Indiskretionen nicht duldet.»

Gewirkt hatte der Aufruf nichts. Am 1. Dezember 2020 berichteten die Tamedia-Zeitungen, dass der Nachrichtendienst des Bundes seit neustem «auch Tierschützer» überwache. Gleichentags wussten die CH-Media-Blätter, dass das WEF «zwei Bundesräte über möglichen Abzug nach Singapur informiert» habe, was auch in der Regierung «für Gesprächsstoff sorgt».

«Solches Verhalten ist nicht akzeptabel»

Zwei Wochen später traf die KID zusammen. «Es gibt weiterhin viele Indiskretionen in den Medien zu den Bundesratssitzungen», wird protokolliert. «Dabei werde oft versucht, die eigene Chefin, den eigenen Chef in ein gutes Licht zu rücken und andere Mitglieder des Bundesrats schlechtzumachen.»

Dies würde die Arbeit der Exekutive erschweren, beklagte Simonazzi. Er warnte vor einem Vertrauensverlust in die Regierung, «wenn das Image eines oder mehrerer Mitglieder des Bundesrats schlechtgemacht würde oder der Eindruck in der Öffentlichkeit entstehe, dass der Bundesrat zerstritten sei».

Der Bundesratssprecher appellierte deshalb erneut, Indiskretionen zu unterlassen, und sah sich gezwungen, seinen Kollegen eine Aufgabe mitzugeben: Die Mediensprecher sollten seine Ermahnung in den Generalsekretariaten und den Ämtern verbreiten. Wie aus den Protokollen hervorgeht, ist Simonazzi auch bei Bundeskanzler Walter Thurnherr (59) vorstellig geworden. Im Dezember 2020 – die Pandemie dauerte mittlerweile gut ein Jahr – richtete sich dieser persönlich mit der Ermahnung an die Generalsekretäre der Departemente.

Trotzdem sickerten in den nächsten Wochen und Monaten vertrauliche Informationen weiter frisch-fröhlich an die Medien. Am 27. Februar 2021 berichtete etwa die «Schweiz am Wochenende», dass der «Terrassenstreit zwischen Bund und Kantonen» beendet sei – «doch der Streit um Kompetenzen geht weiter, wie Recherchen zeigen».

Für die interne Stimmung schienen die Lecks nicht förderlich. Am 3. März 2021 heisst es im Protokoll, dass Indiskretionen «in keiner Weise einer transparenten Kommunikationspolitik» dienen würden und es sich «um reine Manipulation bei gleichzeitiger Instrumentalisierung der Medien» handle.

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Die KID-Mitglieder wurden aufgefordert, «darüber nachzudenken, was getan werden könnte», um das Rinnen zu unterbinden.

Parallel dazu begann Sonderermittler Peter Marti (72) seine Arbeit aufzunehmen. Ins Visier gerieten unter anderen Mitarbeiter des Aussendepartements sowie Bersets Mann Peter Lauener (52), der wegen Marti sogar vier Tage in Haft sass. Am 6. Juni 2022 verliess Lauener das Innendepartement.

Martis Ermittlungen beschäftigten auch die Mediensprecher: Am 14. September 2022 hiess es in der KID, dass das Thema Indiskretionen «aufgrund der jüngsten Ereignisse dieses Sommers, die zwei Informationsdienste betrafen», erneut diskutiert worden sei. «Es wird sehr stark betont, dass Indiskretionen der Tätigkeit des Bundesrates zutiefst schaden, besonders nachteilig sind und hart sanktioniert werden können.»

Als Reaktion versandte Thurnherrs Bundeskanzlei die Broschüre mit den internen Leitlinien «umgehend» in zwei Sprachen an alle Informationsdienste der Departemente. Die BK erteilte den Auftrag, «eine interne Diskussion zu diesem Thema zu führen» und dem Vizekanzler Bericht zu erstatten.

An der folgenden KID-Sitzung am 13. Oktober 2022 wurde Bilanz gezogen: «Die Abteilungen haben dieses Thema alle intern diskutiert, um alle klar daran zu erinnern, dass ein solches Verhalten nicht akzeptabel ist.»

Am vergangenen Mittwoch hat Simonazzi vor den Medien Alain Berset reinwaschen und erklären müssen, dass der Bundespräsident von Indiskretionen «keine Kenntnis» gehabt habe.

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