Protest und Kontrolle in China
Xi is watching you

In China überwacht der Staat das Internet – was unerwünscht ist, wird gestoppt. Seit einer Woche lassen sich die Bürger das nicht mehr gefallen.
Publiziert: 04.12.2022 um 13:50 Uhr
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Chinas Präsident Xi Jinping überwacht die öffentliche Meinung und lässt das Internet kontrollieren.
Foto: AP
Robin Bäni

Die Nation mit der grössten Bevölkerung der Welt verfügt auch über die kolossalsten Schutzwälle: Im Norden und im Westen ragt die Chinesische Mauer in den Himmel. In der virtuellen Wirklichkeit umfasst die «Grosse Firewall» alles.

Eine Zensur sämtlicher Onlineinhalte schirmt das Reich der Mitte von der digitalen Aussenwelt ab und ermöglicht eine schier grenzenlose Kontrolle im Inneren. China hat die Zensur im Netz perfektioniert. Unerwünschte Beiträge werden gelöscht. Staatspräsident Xi Jinping steuert die öffentliche Meinung nach Belieben. Letzte Woche aber gelang ein historischer Durchbruch. Auf chinesischen Websites kursierten kritische Beiträge – massenweise. Auch Videos von Demonstrierenden waren zu sehen.

Grössten Proteste seit 1989

China erlebte die grössten Proteste seit dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz 1989. An Dutzenden Universitäten und in mehreren Städten gingen Bürgerinnen und Bürger auf die Strasse. Auslöser war der Brand eines Wohnhauses in der Stadt Ürümqi im Westen Chinas, bei dem viele Menschen starben. Womöglich waren die Fluchtwege wegen des Lockdowns blockiert.

Ein Video der Tragödie verbreitete sich im Netz. Es weckte den Zorn der Menschen. Sie forderten ihre kleinen Freiheiten aus der Zeit vor der Null-Covid-Politik zurück. Sichtbar wurde aber auch die allgemeine Unzufriedenheit der Bevölkerung. Die Wirtschaft stagniert, viele junge Menschen sind arbeitslos. Die Regierung versuchte, die Demonstrierenden zu besänftigen, verkündete für die nächsten Wochen neue Impfstrategien und Lockdown-Regeln.

Dafür, dass es nicht zur Ausweitung der Proteste kommt, hat eigentlich die Cyberspace Administration of China zu sorgen. Das Personal dieser Regierungsbehörde überwacht das Internet mit Algorithmen. Normalerweise erkennen und sperren die elektronischen Verfahren unerwünschte Beiträge sofort.

Enorme Flut an Beiträgen

Bei den jüngsten Protesten jedoch traf die Zensoren eine enorme Flut kritischer Beiträge. Videos aus verschiedenen Blickwinkeln und mit vielen Motiven erschwerten ihnen die Arbeit. Damit die Algorithmen Inhalte zuverlässig aus dem Netz filtern können, müssen sie kontinuierlich angepasst werden. Das ist zeitaufwendig, kostspielig und personalintensiv.

Zeitweise waren die Zensoren erkennbar überfordert. Doch im Verlauf der Woche nahmen die aufsässigen Onlinebeiträge rapide ab. Simona Grano, Professorin am Asien-Orient-Institut der Universität Zürich, hat mit dieser Entwicklung gerechnet: «Es ist nicht unmöglich, die Zensur zu umgehen. Aber es ist schwierig, solche Aktionen über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten.» Behörden und Bürger des Riesenreiches liefern sich seit Jahren ein Katz-und-Maus-Spiel, so Grano.

«Zensoren hinken hinterher»

Gleicher Ansicht ist Brian Carlson vom Center for Security Studies der ETH Zürich: «Die Zensoren hinken zwar immer hinterher, aber sie adaptieren und reagieren schnell.» Die Bildung einer wirklichen Opposition hält Carlson daher für ausgeschlossen.

Und doch: Ohne Änderung der Covid-Politik wird der Unmut der Protestierenden nicht weichen, meint der China-Experte. Ob und wie viel wir davon mitbekommen, hänge von den Mechanismen der Zensur ab. Funktionieren diese effektiv, sei im Ausland wenig bis gar nichts vom Protest zu sehen. Bisher erfüllten sie ihren Zweck, obwohl die Zensoren zu Beginn an ihre Grenzen stiessen: «Chinas Behörden können nie alles zensieren. Aber das müssen sie auch nicht. Sie müssen lediglich dafür sorgen, dass genügend Menschen im Dunkeln bleiben. Dann können Proteste frühzeitig zerschlagen werden», so Carlson.

Vor einer Woche brachen in China landesweite Proteste aus. Doch schon schweigen die kritischen Stimmen wieder – jedenfalls im nationalen Internet.

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