Die Wut muss raus. Noch immer gehen in China zahlreiche Menschen auf die Strasse. Der Grund: die Null-Covid-Strategie des Landes. China ist unter der Führung von Xi Jinping (69) die letzte grosse Volkswirtschaft, die ultrastrenge Corona-Restriktionen durchsetzt – und das seit fast drei Jahren. Selbst kleine Ausbrüche können zur Abriegelung ganzer Städte führen. Hunderte Millionen Menschen und rund ein Fünftel der Wirtschaft sind nach Schätzungen gerade von Lockdowns betroffen.
Trotz aller Aufstände und Unruhen seit dem Wochenende blieb die Regierung zunächst hart. Die Polizeipräsenz wurde verstärkt, die Proteste niedergeschlagen. Ausserdem wurde eine Nachrichtensperre im Zusammenhang mit den Demos verhängt.
Doch jetzt scheint sich eine Kehrtwende abzuzeichnen. Wie der «Economist» berichtet, wollen zwei der grössten Städte Chinas, Chongqinq und Guangzhou, die Corona-Massnahmen lockern. Die chinesische Vizepremierministerin Sun Chunlan (72) sagte nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua, man sei in einem «neuen Stadium der Pandemie».
Impfkampagne soll gestärkt werden
Was das genau bedeutet, führte Sun weiter aus. «Da die Omikron-Variante weniger pathogen geworden ist, mehr Menschen geimpft werden und wir mehr Erfahrungen in der Covid-Prävention gesammelt haben, befindet sich unser Kampf gegen die Pandemie in einem neuen Stadium und bringt neue Aufgaben mit sich.» Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge kündigte Sun zudem einen «menschlichen Ansatz» bei der Pandemiebekämpfung an. Direkten Bezug auf die Null-Covid-Politik von Staatschef Xi nahm sie indes nicht.
Bereits vorgängig gab die Regierung bekannt, ihre Impfkampagne zu verstärken – besonders in der älteren Bevölkerung. Ältere wurden im 1,4-Milliarden-Land aus Angst vor Nebenwirkungen weniger geimpft.
Schnelle Öffnung ist «kontraproduktiv und gefährlich»
Vizepremierministerin Suns Ankündigung kommt allerdings zu einem prekären Zeitpunkt: Die Hauptstadt Peking verzeichnet gleichzeitig rund 5000 neue Coronafälle – ein Rekord.
Eine schnelle Öffnung sei «kontraproduktiv und gefährlich», sagte denn Timo Ulrichs, Experte für Globale Gesundheit an der Akkon Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin, am Montag der Deutschen Presse-Agentur. Die Chinesen hätten so gut wie keinen ausreichenden Immunschutz. China hat nämlich eine niedrige Impfrate und ein zusätzliches Problem: Im Land sind keine mRNA-Impfstoffe zugelassen. Die Regierung setzt auf eigens entwickelte Vakzine, die nicht besonderes gut und auch nicht lange wirken.
Die Regierung habe mit den knallharten Massnahmen zwar das Virus zeitweise kontrollieren können. Doch in der Zwischenzeit hätte das Land durchgeimpft werden müssen, um einen ausreichenden Immunschutz aufzubauen. Dadurch hätte man nach und nach die harte Corona-Politik aufweichen können.