Wenn China niest, kriegt die gesamte Weltwirtschaft einen Schnupfen. Das zeigt das vergangene Wochenende exemplarisch. Die grössten Proteste in China seit Jahrzehnten lassen den Ölpreis am Montag abschmieren. Die Börsen rund um die Welt starteten im roten Bereich in die Woche.
Auch an der Schweiz gehen die Turbulenzen nicht unbemerkt vorbei: Immerhin ist China nach Deutschland und den USA in den letzten Jahren zum drittwichtigsten Exportland der Schweizer Wirtschaft herangewachsen.
20 Prozent Jugendarbeitslosigkeit befeuert Proteste
Ein Fünftel der Chinesen ist laut Schätzungen im Lockdown – das entspricht mehreren Hundert Millionen Menschen. Das ist für die Wirtschaft der Volksrepublik und für Schweizer Unternehmen vor Ort denn auch die grössere Herausforderung als die landesweiten Proteste am Wochenende.
«Schweizer Unternehmer haben ihre Fabriken in China teils seit drei Jahren nicht mehr besucht», sagt Rudolf Minsch (55), China-Experte beim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse. «Neuerliche Lockdowns geben der Versorgungsproblematik neuen Schub.»
Es werden Erinnerungen wach an den Höhepunkt der Pandemie, als die Lieferketten weltweit unterbrochen waren. Dass die Weihnachtsgeschenke nicht pünktlich an Heiligabend unter dem Christbaum lagen, war da noch die harmloseste Auswirkung.
Firmen mussten Aufträge streichen, weil ihnen die Ersatzteile fehlten, das chinesische Wirtschaftswachstum brach ein und riss die Weltwirtschaft mit sich.
Die Arbeitslosigkeit unter den Jungen liegt in China bei 20 Prozent. Sie sind es denn auch, die nun auf die Strassen gehen. Ein ganzes Land in Aufruhr? Mitnichten. In Shanghai etwa beteiligten sich schätzungsweise einige Hundert Menschen an den Protesten vom Wochenende – bei einer Bevölkerung von 25 Millionen.
Handykontrollen auf offener Strasse
«Wenn man nicht selber am Ort des Geschehens ist, kommt einem der Alltag ganz normal vor», sagt der Auslandschweizer Roman L.*, der seit mehreren Jahrzehnten in China lebt. Aus Angst vor Repressalien will er sich öffentlich nur anonym äussern. Aus Neugierde war er am Wochenende dort, wo demonstriert wurde. «Die Polizeipräsenz war enorm», sagt er am Telefon.
Auch andernorts werden die Schrauben merklich angezogen. «Es gibt immer mehr Handykontrollen», erzählt L. In der U-Bahn, beim Einkaufen, auf offener Strasse fordern einen die Sicherheitskräfte auf, das Smartphone auszuhändigen. «Sie kontrollieren, ob man Twitter, Instagram oder andere verbotene Apps auf dem Handy hat.»
Ob die Proteste weitergehen, wird sich nächstes Wochenende zeigen. Dann könnte es erneut zu Demonstrationen und einer Verhaftungswelle kommen. Schweizer Firmen vor Ort halten so lange die Füsse still und hoffen, dass die Regierung den Protesten Folge leistet und einen sanften Ausweg aus der Null-Covid-Politik findet.
* Name der Redaktion bekannt