Es wird eng auf Schweizer Strassen und Schienen. Mit dem Wachstum von Wirtschaft und Bevölkerung nehmen Stau und volle Züge in den kommenden 30 Jahren weiter zu. Doch es gibt auch gute Neuigkeiten: Die Zahlen steigen weniger stark an als bisher angenommen.
Das geht aus den Verkehrsperspektiven für das Jahr 2050 hervor, die das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) am Dienstag vorgestellt hat – gemeinsam mit den Bundesämtern für Strassen (Astra) und Verkehr (BAV).
Demnach wird der Verkehr sogar weniger stark wachsen als die Bevölkerung. Die Behörden gehen davon aus, dass der gesamte Personenverkehr bis 2050 gegenüber dem Jahr 2017 nur gerade um 11 Prozent zunehmen wird. Und das, obwohl die Bevölkerung bis dahin um 21 Prozent anwachsen soll!
Bisher von stärkerem Wachstum ausgegangen
Das überrascht. Denn mit den erst vor fünf Jahren vorgestellten Verkehrsperspektiven 2040 ging der Bund beim Personenverkehr noch von einer satten Zunahme von 25 Prozent auf total 145 Milliarden Personenkilometer aus. Nun aber soll der Verkehr auf Strassen und Schienen in den kommenden Jahrzehnten plötzlich deutlich weniger stark anwachsen.
Das dürfte durchaus Auswirkungen haben. Immerhin dienen die Verkehrsperspektiven 2050 dem Bund als neue Grundlage für seine Verkehrs- und Raumplanung.
Trend zu Homeoffice bremst Verkehrszahlen
Doch wie kommt das? «In den vergangenen fünf Jahren kam es zu einigen wesentlichen Änderungen, die sich auf unserer Verkehrsverhalten auswirken», sagte ARE-Vizedirektor Ulrich Seewer. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Coronavirus. Denn die Pandemie hat das Homeoffice salonfähig gemacht – wenn auch notgedrungen.
Heute geht der Bund davon aus, dass dieser Trend anhalten wird. «Vor fünf Jahren mussten wir noch annahmen, dass der Anteil bei einem bis zwei Prozent dümpeln wird», so Seewer. Heute gehen die Behörden davon aus, dass rund die Hälfte der Arbeitnehmenden, bei denen dies möglich ist, im Homeoffice arbeiten werden.
Sprich: Immer mehr Menschen arbeiten von zuhause aus, was den Pendlerverkehr reduziert. «Das war bei unseren letzten Prognosen in diesem Ausmass nicht absehbar», sagte Seewer. Oder anders: Das Coronavirus hat die Verkehrsprognosen des Bundes über den Haufen geworfen.
Für den Verkehrsverband TCS sind diese Prognosen allerdings nicht nachvollziehbar. Ein Anstieg von nur drei Prozent beim Strassenverkehr bei einem gleichzeitigen Bevölkerungswachstum von 21 Prozent sei unrealistisch.
Kommt hinzu: Die Schweizer Bevölkerung wird immer älter. Damit nimmt der Anteil der Erwerbstätigen ab und es fallen nochmals weniger Arbeitswege an. Einen Einfluss auf den Verkehr hat aber auch die Raumentwicklung. Denn in dicht besiedelten Gebieten lägen Freizeit- und Einkaufsmöglichkeiten oft nahe. Fahrten mit Auto, ÖV oder Velo seien daher meist kürzer – oder gar nicht erst nötig.
Gleichzeitig aber betont das Bundesamt für Raumentwicklung auch, dass die vom Bundesrat beschlossene Verkehrs- und Raumplanung weiter konsequent umgesetzt werden muss. Das bedeutet, dass etwa Siedlungen weiter zu entwickeln sind, die mit dem öffentlichen Verkehr bereits gut erschlossen sind.
Auto bleibt die klare Nummer 1
Unter diesen Voraussetzungen gehen die Behörden davon aus, dass der öffentliche Verkehr seinen Anteil am Personenverkehr in den kommenden 30 Jahren von 21 auf 24 Prozent erhöhen wird. Das Velo dürfte seinen Anteil von 2 auf 4 Prozent verdoppeln.
Klare Nummer 1 bleibt aber das Auto. Sein Anteil an den gesamten Personenkilometern dürfte allerdings von 73 auf 68 Prozent sinken. Dazu beitragen dürfte aber auch die schon heute hohe Auslastung der Strassen.
Güterverkehr wächst wegen Online-Handel
Im Vergleich zum Personenverkehr dürfte der Güterverkehr deutlich stärker ansteigen, nämlich um rund 31 Prozent. Das wäre aber dennoch eine weniger starke Zunahme als die wirtschaftliche Entwicklung. Hier wird bis 2050 von einem Zuwachs des Bruttoinlandprodukts von 57 Prozent ausgegangen.
Ein Beispiel: Der zunehmende Onlinehandel lässt den Lieferwagenverkehr zunehmen. Hier rechnet der Bund gleich mit einem Anstieg von 53 Prozent.
Gleichzeitig aber führen etwa die Bemühungen zur CO2-Verminderung dazu, dass künftig weniger Treibstoff und Heizöl importiert und vermehrt kleinere Ladungen statt Massengüter befördert werden. Auch sind die transportierten Waren gesamthaft vermehrt auf der Schiene unterwegs; deren Anteil erhöht sich von 37 auf 39 Prozent.
Weitere Ausbauten werden bereits geprüft
Handlungsbedarf sehen die Behörden deshalb vorab rund um die Ballungszentren. Daran ändert sich vorerst wenig. Ein weiterer Ausbau der Verkehrsinfrastruktur ist denn auch bereits aufgegleist, etwa mit dem knapp 13 Milliarden Franken teure Ausbauschritt 2035 bei der Bahn, der 14,8 Milliarden Franken teure Ausbauschritt 2030 bei den Nationalstrassen und weitere Investitionen im Rahmen der Agglomerationsprogramme.
«Doch auch damit werden wir die Nachfrage nicht überall befriedigen können», ergänzte BAV-Vizedirektorin Anna Barbara Remund. Weitere Ausbauten werden denn auch bereits geprüft.