Politiker sind sich uneins
Lärmschutz lockern, damit mehr gebaut werden kann?

Wohnraum ist in vielen Schweizer Städten Mangelware. Nun will die zuständige Umweltkommission des Ständerats beim Lärmschutz Änderungen vornehmen, damit mehr gebaut werden kann. SP-Politikerin Gabriela Suter geht auf die Barrikaden.
Publiziert: 02.11.2023 um 00:15 Uhr
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Bauen an lärmigen Strassen ist heute nicht ganz einfach.
Foto: Keystone

Die Umweltkommission des Ständerats will die Lärmvorschriften lockern, um mehr Wohnungsraum zu schaffen. Dieser ist in der Schweiz in einigen Regionen rar. 

Nach Ansicht der Kommission sollen Baubewilligungen künftig erteilt werden, auch wenn die Immissionsgrenzwerte überschritten werden. Eine Möglichkeit bestehe darin, dass künftig der Grenzwert an jeweils nur noch einem Fenster in mindestens der Hälfte der lärmempfindlichen Räume wie dem Schlafzimmer eingehalten werden muss. Das schlägt eine Mehrheit der Kommission vor. 

Städtische Bauvorhaben verhindert

Die Stadtpräsidentin von Zürich und Vizepräsidentin des Schweizerischen Städteverbandes, Corine Mauch (62), betonte schon in der Vergangenheit, es brauche mehr Spielraum in den Städten.

Bauchschmerzen machte ihr ein Bundesgerichtsurteil betreffend Lärmschutz in Zürich. Dort durfte eine Wohnbaugenossenschaft wegen des Entscheides der Lausanner Richter zwei in die Jahre gekommene Mehrfamilienhäuser mit 22 Wohnungen in Zürich-Wipkingen nicht durch einen Neubau ersetzen. Grund dafür war der Strassenlärm. In der Stadt Zürich scheiterten in den vergangenen Jahren bereits mehrere, teils grosse Wohnbauprojekte an Lärmvorschriften.

«Mit dem jetzigen Entscheid reagiert die Kommission auf das Urteil gesetzgeberisch», sagt Mitte-Ständerat Daniel Fässler (63, AI). Denn das Urteil habe den Bau von Tausenden neuer Wohnungen verhindert. Die nun vorgeschlagenen Änderungen hält er im Interesse der Verdichtung für notwendig und zumutbar.

«Kapitulieren vor dem Lärmproblem»

Weiter möchte eine Mehrheit der Kommission, dass bei neuen Wohnungen mit einer kontrollierten Wohnraumlüftung die Grenzwerte am offenen Fenster nicht eingehalten werden müssen.

Die Aargauer SP-Nationalrätin Gabriela Suter (50) und Präsidentin der Lärmliga Schweiz ist gar nicht einverstanden mit diesem Entscheid. Auf X findet sie klare Worte. Die zuständige Kommission «kapituliere vor dem Lärmproblem», schreibt sie dort.

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Auch sie wolle Siedlungen nach innen verdichten, sagt Suter. Man müsse gesundheitsschädlichen Lärm aber an der Quelle bekämpften, und nicht vermehrt zulassen.

Kantone und Gemeinden sollten zuerst alle Massnahmen treffen, um für mehr Ruhe auf ihren Strassen sorgen, etwa mit dem Einbau von lärmarmen Strassenbelägen und mit Temporeduktionen, fordert sie. «Dann müsste man den Lärmschutz nur in Ausnahmefällen lockern.» Eine Änderung des Umweltschutzgesetzes im Sinne der ständerätlichen Kommission würde den Schutz der Bevölkerung vor Lärm an lärmbelasteten Lagen massiv schwächen. (sie) 

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