Pensionskassen-Reform vertagt – das sorgt für Ärger
Half Berset bei der Verzögerung?

Die ständerätliche Sozialkommission vertagt den Entscheid um die Reform der beruflichen Vorsorge auf nach der AHV-Abstimmung. Auch ein Votum von Bundesrat Alain Berset soll den Entscheid beeinflusst haben.
Publiziert: 08.09.2022 um 14:11 Uhr
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Aktualisiert: 08.09.2022 um 14:44 Uhr
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Der Ständerat vertagt die BVG-Reform. Offenbar hatte auch ein Votum von Alain Berset einen Einfluss auf den Entscheid.
Foto: keystone-sda.ch
Ruedi Studer

Die Rentenlücke zwischen den Geschlechtern bleibt mit 35 Prozent riesig! Rentnerinnen erhielten aus allen Säulen der Altersvorsorge im Jahr 2020 im Mittel 35'840 Franken, Rentner hingegen 54'764 Franken. Ein satter Unterschied von 18'924 Franken.

Eine Ungerechtigkeit, die mit der Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) aus dem Weg geräumt oder zumindest gemindert werden sollte. Denn in der zweiten Säule sind die Frauen, da sie öfter Teilzeit arbeiten, strukturell benachteiligt.

Das grosse Versprechen an die Frauen: Mit der AHV-Reform wird zwar das Frauenrentenalter auf 65 Jahre erhöht. Dieser Nachteil soll aber mit Verbesserungen bei den Pensionskassen ausgeglichen werden.

Versprechen steht auf der Kippe

Ein Versprechen, das nun auf der Kippe steht: Die ständerätliche Sozialkommission vertagt die BVG-Reform und streicht sie aus dem Programm der Herbstsession. Die Sozialpolitiker werden sich einfach nicht einig, wie die Senkung des Umnwandlungssatzes von 6,8 auf 6 Prozent kompensiert werden soll.

Dem Vernehmen nach stehen sich im Grundsatz weiterhin zwei Modelle gegenüber. Das schlanke Nationalratsmodell, das den Frauen kaum Verbesserungen bringt und 9,1 Milliarden Franken kostet. Auf der anderen Seite ein von FDP-Ständerat Josef Dittli (65, UR) eingebrachtes Modell, das bei den Kompensationen grosszügiger ist und 11,3 Milliarden Franken kosten würde.

«Verkorkste Situation»

Beobachter gehen davon aus, dass das Dittli-Modell im Ständerat bessere Chancen hätte. Doch die Fronten sind derart unklar, dass dem Geschäft der Absturz droht. Links-Grün will eine deutlich grosszügigere Lösung, die SVP pocht auf die Nationalratsvariante, und einige bürgerliche Ständeräte wollen die Reform gleich ganz sein lassen.

«Es war ein Tohuwabohu», heisst es aus der Kommission. Von einer «verkorksten Situation» ist die Rede. Einige hätten schlicht kalte Füsse bekommen – auch mit Blick auf die AHV-Abstimmung am 25. September.

Offenbar hatte dabei auch ein Votum von Bundesrat Alain Berset (50) einen gewissen Einfluss. Der SP-Sozialminister habe den Ständeräten die Leviten gelesen. Er habe sich kritisch geäussert und geradezu davor gewarnt, just vor dem Entscheid über die AHV-Reform mit einer BVG-Reform in den Rat zu kommen, die derart umstritten sei und noch viele offene Fragen hinterlasse. So haben es jedenfalls verschiedene Politiker aufgefasst.

Warum ausgerechnet Berset den Aufschub beförderte, ist unklar. Hört man sich um, gibt es zwei Erklärungsversuche. Die einen nehmen Berset ab, dass er befürchtet, dass ein BVG-Debakel im Ständerat die AHV-Reform an der Urne doch noch zum Absturz bringen könnte. Die andern glauben, genau das sei sein Ziel. Und sein Votum habe nur den Zweck, für Verunsicherung zu sorgen – weil er im Innersten eben doch gegen die AHV-Reform sei.

Zunder im AHV-Abstimmungskampf

So oder so bringt der Aufschub Zunder in den AHV-Abstimmungskampf. Die Frauen werden weiterhin im Ungewissen gelassen, ob tatsächlich Verbesserungen kommen – oder ob sie dann doch hängen gelassen werden. Gerade bürgerlichen Frauen, die sich für das höhere Frauenrentenalter engagieren, stehen im Abstimmungskampf vorerst mit leeren Händen da.

«Das mit diesem Stillstand verbundene sinkende Vertrauen in den Reformwillen in Politik und Branche und somit in die Reformfähigkeit des Dreisäulensystems schadet nicht nur der 2. Säule, sondern riskiert auch den Erfolg der anstehenden Reform der 1. Säule», twitterte GLP-Nationalrätin Melanie Mettler (44, BE) verärgert.

Das links-grüne Lager jedenfalls nutzt den Aufschub für seine Nein-Kampagne. Die weitere Verzögerung der BVG-Reform sei eine schlechte Nachricht für die Frauen, sagt die grüne Ständerätin Maya Graf (60, BL). Ihre Anliegen für Verbesserungen in der zweiten Säule würden nicht ernst genommen. «Aber trotz grosser Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt sollen sie ein wichtiges Rentenjahr für die AHV-Sanierung bezahlen?», so Graf. «Das geht nicht auf. Das ist schlicht unfair.»

SP-Ständerat Paul Rechsteiner (70, SG) meint: «Die bürgerliche Rentenpolitik ist ein Fiasko. Sie bringt in der AHV und auch in der beruflichen Vorsorge nur Verschlechterungen.»

Auch der Gewerkschaftsbund nutzt den Steilpass: «Rentenverbesserungen für Frauen entpuppen sich als leere Versprechen», schreibt er in einer Mitteilung. Ob und wann eine BVG-Reform komme und mit welchem Inhalt, sei vor der AHV-Abstimmung nicht bekannt. «Die Stimmbevölkerung soll die Katze im Sack kaufen», so der SGB. «Diese Vernebelungstaktik der Ständeratskommission ist nicht akzeptabel.»

«Sorgfältig austarieren»

Mattea Meyer (SP) und Ruth Humbel (Mitte) streiten über die AHV-Reform
18:45
Die ganze Folge:Mattea Meyer und Ruth Humbel im AHV-Streitgespräch

Die ständerätliche Sozialkommission hingegen betont in ihrer Mitteilung, dass sie sich bloss die nötige Zeit nehmen wolle, um die Kompensationsmassnahmen für die Übergangsgeneration sorgfältig auszutarieren.

Und: «Die Kommission bekannte sich jedoch noch mal zu den geplanten substanziellen Verbesserungen für Angestellte mit tiefen Löhnen und solchen mit mehreren Arbeitgeberinnen oder Arbeitgebern.» Damit bezieht sie sich etwa auf die Anpassungen beim Koordinationsabzug.

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