Im November stimmt die Schweizer Bevölkerung über das Covid-Gesetz ab – bereits zum zweiten Mal. Schon am Tag nach der Niederlage an der Urne im Juni begannen die selbst ernannten «Freunde der Verfassung» gemeinsam mit weiteren Organisationen mit dem Unterschriften sammeln. Erfolgreich – nach eigenen Angaben sammelten sie über 187'000 Unterschriften, weit mehr als die benötigten 50'000.
Im Gegensatz zur ersten Abstimmung hängen weniger Wirtschaftshilfen am Gesetz, denn das Referendum betrifft nur die Fassung vom März 2021, spätere und allfällige künftige Revisionen sind nicht betroffen. Den Gegnern des Gesetzes geht es vor allem um das Covid-Zertifikat. Für sie führen Zutrittsbeschränkungen wie etwa an Grossanlässen, bei denen nur Geimpfte, Getestete oder Genesen zugelassen werden, zu einer «Zweiklassengesellschaft».
Tatsächlich würde ein Erfolg des Referendums das Zertifikat zu Fall bringen, wie das Innendepartement (EDI) von SP-Bundesrat Alain Berset (49) auf Nachfrage bestätigt. Zwar gründen die Zutrittsbeschränkungen genau genommen auf dem Epidemiengesetz, das bereits seit 2013 in Kraft ist. Aber: Um die Zulasskontrollen auch umzusetzen, braucht es das Zertifikat – und genau dieses würde bei einem Nein zum Gesetz kippen.
Ohne Gesetz keine EU-Anerkennung
Eine gewisse Zweiklassengesellschaft bliebe trotzdem bestehen – nämlich für Schweizer und Schweizerinnen, die verreisen wollen. Denn innerhalb der EU wird bis vorerst Juli 2022 das Zertifikat zum Reisen nötig sein, eine Verlängerung ist natürlich möglich. Schweizer und Schweizerinnen würden hier den Kürzeren ziehen. «Die Anerkennung der Schweizer Zertifikate durch die EU setzt voraus, dass wir in der Schweiz über die notwendigen, EU-kompatiblen rechtlichen Grundlagen verfügen», erklärt EDI-Sprecher Markus Binder. Ohne solche Grundlagen «könnte das zu erheblichen Problemen im Bereich des Reisens führen.»
Freiwillig das Zertifikat zu verwenden, um ins Ausland zu reisen, sei keine Option. «Freiwilligkeit ist hier nicht möglich», sagt Binder. «Fällt die gesetzliche Grundlage weg, können Zertifikate nicht mehr benutzt werden: Der Bund kann das System ‹Covid-Zertifikat› nicht mehr betreiben, es können weder Zertifikate ausgestellt noch die zur Überprüfung notwendigen Systeme weitergeführt werden.»
Schutzschirme in Gefahr
Ansonsten wären die Auswirkungen eines Neins beschränkt, da ein Grossteil des Gesetzes ohnehin Ende 2021 ausläuft. Eine Ausnahme ist der im März vom Parlament beschlossene Schutzschirm für Grossveranstaltungen. Diese sind durch das Covid-Gesetz zurzeit abgesichert für den Fall, dass ein Anlass mit 1000 Besuchern oder mehr in letzter Minute doch noch abgesagt werden muss, weil sich die epidemiologische Lage verschlechtert. Bund und Kantone beteiligen sich in diesem Fall an den ungedeckten Kosten.
Sollte das Covid-Gesetz scheitern, wäre damit per 19. März 2022 Schluss. Soll heissen: Die bereits zugesagten Schutzschirme kämen zum Greifen, aber keine weiteren mehr. Allerdings läuft auch diese Bestimmung so oder so im April 2022 aus, wenn nicht eine Verlängerung beschlossen wird.
Bis zum Abstimmungstag im November kann noch viel passieren. Möglich, dass das Covid-Zertifikat oder Schutzschirme bis dahin ohnehin nicht mehr gebraucht werden – weil die Pandemie bis dahin soweit nachgelassen hat, dass sie gar nicht mehr nötig sind. Genauso gut möglich ist aber, dass neue Virus-Varianten der Pandemie neuen Aufschub verleihen und die Corona-Krise bis dahin längst noch nicht vorbei ist.