Seit Mittwoch ist Marco Rubio (53) auch in Europa einer breiteren Öffentlichkeit bekannt: Der US-Aussenminister trug am Aschermittwoch demonstrativ ein Aschekreuz auf der Stirn. Diese politische Inszenierung des Katholizismus dürfte Papst Franziskus (88) zuwider sein – empfiehlt die Bibel doch gerade beim Fasten Diskretion.
Das Kirchenoberhaupt und der Spitzenpolitiker liegen auch in anderen Fragen über Kreuz, zum Beispiel in der Nahostpolitik. Franziskus, der bis zu seiner Einlieferung ins Gemelli-Krankenhaus täglich mit einem Priester in Gaza telefonierte, ist der Ansicht, man solle Genozid-Vorwürfe gegen Israel juristisch prüfen. Die Regierung von Donald Trump vertritt das Gegenteil.
Druck von allen Seiten
Es liegt an Rubio, dass eine von der Schweiz geplante Konferenz zur Umsetzung der Genfer Konventionen kurzfristig abgesagt wurde – aber nicht nur. Weitere Schuldige sitzen in Riad (Saudi-Arabien), Kairo (Ägypten) und Amman (Jordanien). Was genau ist vorgefallen?
Schon länger fordern die Palästinenser, dass die Eidgenossenschaft eine Konferenz über die Umsetzung der Genfer Konventionen abhalten soll, also über die Einhaltung des humanitären Völkerrechts. Nach einem Beschluss der Uno-Generalversammlung vom September sollte das Treffen spätestens im März stattfinden. Die Schweiz legte in dieser Zeit verschiedene Entwürfe zu dessen Durchführung vor.
Intensives US-Lobbying
Nach Informationen von SonntagsBlick intervenierten die USA und Israel jedoch wiederholt, um die Schweiz von einer Austragung der Konferenz abzuhalten. Und Mitte Februar kam es zum diplomatischen Showdown: Am 16. Februar besuchte Rubio, der neue US-Aussenminister, seinen Kollegen Gideon Sa'ar (58) in Jerusalem. Eines ihrer Gesprächsthemen: die Menschenrechtskonferenz in der Genf. Israel hatte deren Durchführung von Anfang an abgelehnt und motivierte Rubio nun, alles zu tun, um die Konferenz im letzten Moment zu verhindern.
Eine Woche später telefonierten Sa'ar und sein Schweizer Kollege Cassis. Israels Aussenminister bekräftigte dabei, dass er die Konferenz ablehnt. Das EDA bestätigt das Telefonat und betont, trotz der Kritik aus Jerusalem und Washington am 27. Februar dazu eingeladen zu haben. Wie aus Kreisen der eidgenössischen Diplomaten zu hören ist, folgte darauf «ein intensives US-Lobbying», um andere Nationen von einer Teilnahme am Genfer Treffen abzuhalten.
Frust unter islamischen Staaten
Zur endgültigen Absage der Konferenz führte am Ende der Frust innerhalb der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIZ), die mehr als 50 Staaten vertritt. Ein Textentwurf im Vorfeld der Begegnung in Genf, der am Freitag verabschiedet werden sollte und SonntagsBlick vorliegt, ging den Staaten nicht weit genug. Wie es heisst, brachten vor allem Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien ihren Unmut über das Papier zum Ausdruck. Sie fürchten den Volkszorn, der mit Trumps Gaza-Plänen grösser geworden sei, und werfen Europa Doppelmoral vor: Während angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine das Völkerrecht hochgehalten werde, spiele es im Nahostkonflikt praktisch keine Rolle.
Ohne die Mitgliedsstaaten der OIZ jedoch kam die Schweiz nicht auf die «kritische Masse», um die Konferenz tatsächlich abzuhalten.
«Ich hätte von der Schweiz als neutralem Land mehr erwartet», sagt der palästinensische Uno-Botschafter in Genf, Ibrahim Khraishi (67), im Gespräch mit SonntagsBlick. «Was wir wollen, ist, dass die Genfer Konventionen umgesetzt werden. Wir haben vorgeschlagen, die Konferenz zu verschieben. Leider hat sich die Schweiz für eine Absage entschieden.» Für SP-Aussenpolitiker Fabian Molina (34) ist dies «ein persönliches Scheitern von Bundesrat Cassis» und «eine Peinlichkeit für die Schweiz».
Das EDA weist die Kritik zurück: «Bundesrat Cassis hat Gespräche sowohl mit dem israelischen Aussenminister als auch mit der palästinensischen Aussenministerin geführt, um für eine Teilnahme zu werben. Beide Seiten lehnten jedoch den von der Schweiz vorbereiteten Schlusstext ab.»