Auf einen Blick
Grönland, den Panamakanal – und jetzt den Gazastreifen? US-Präsident Trump sorgte diese Woche für Empörung, als er ankündigte, den Küstenstreifen unter US-Kontrolle in eine «Riviera des Nahen Ostens» zu verwandeln und dafür zwei Millionen Palästinenser zwangsumzusiedeln. Trump verhält sich, als wäre die Welt ein Selbstbedienungsladen. Dass seine Idee, die laut Uno einer «ethnischen Säuberung» gleichkäme, umgesetzt wird, scheint zwar nicht realistisch. Doch Thomas Jäger, Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Politik und Aussenpolitik an der Universität Köln, warnt im Gespräch mit Blick davor, die Aussagen des US-Präsidenten nicht für voll zu nehmen.
Herr Jäger, US-Präsident Trump will die Palästinenser aus dem Gazastreifen vertreiben und ein Dubai am Mittelmeer errichten. Meint er das ernst?
Thomas Jäger: Donald Trump setzt Macht und Politik mit seinem eigenen Willen gleich. In seiner ersten Amtszeit hiess es jeweils, man müsse Trump ernst nehmen, aber nicht wörtlich. Es wäre ein grosser Fehler, sich erneut darauf zu verlassen.
Erklären Sie bitte.
In seiner ersten Amtszeit hatte Trump Leute um sich, die ihn davon abgehalten haben, zu tun, was er eigentlich wollte. Diesmal ist Trump viel besser vorbereitet und ambitionierter, weil er weiss, dass er sich mit Jasagern umgeben hat. Er muss seine Ideen nicht mit dem Verteidigungs- oder dem Aussenministerium abgleichen. Trump verachtet herkömmliche institutionelle Vorgänge, die Verwaltung ist sein Feind. Er regiert mehr als König denn als Präsident. Mit dem Riviera-Plan für den Gazastreifen hat er selbst seine engsten Mitarbeitenden überrascht.
Was bedeutet das für den Nahen Osten? Will Donald Trump tatsächlich den Gazastreifen übernehmen?
Trump glaubt offenbar, dass das alles gewaltfrei gehen könnte, dass die Palästinenser froh sein werden, wenn die USA übernehmen. Natürlich hat das alles überhaupt keine Chance, realisiert zu werden. Aber Trump wird die Idee weiter ventilieren und immer dann, wenn der Nahost-Konflikt wieder aufkocht, sagen: Leute, ich habe euch ein Angebot gemacht, das hättet ihr alles viel besser haben können.
Welche Ziele verfolgt Trump damit?
Trump stellt sich die Konfliktlösung so vor, er ist ein Geschäftemacher. Für ihn ist der Gazastreifen ein reizvolles Immobilienprojekt. Es liegt sowieso alles in Schutt und Asche, warum sollte man da nicht profitieren?
Weil dafür zwei Millionen Menschen zwangsumgesiedelt und ihrer Heimat beraubt würden?
Was für Trump zählt, ist sein Wille, nicht die Menschen, die dort leben. Die Kultur, die Geschichte des palästinensischen Volkes sind Trump völlig fremd. Er geht davon aus, dass sie schon freiwillig gehen werden, wenn ihnen an einem anderen Ort eine anständige Wohnung angeboten wird.
Trump verkauft seinen Irrsinn auch noch als grosszügige humanitäre Geste.
Trump ist Immobilienmann, das ist seine Sozialisation. Als er in seiner ersten Amtszeit mit Kim Jong Un Gespräche führte, hat Trump von den tollen Hotelanlagen geschwärmt, die man an Nordkoreas Stränden bauen könnte. Und: Trump ist ein Showman. Er sucht Aufmerksamkeit und geniesst sie, jetzt hat er wieder seine Show.
Mit möglicherweise dramatischen Folgen. Trump gefährdet die Waffenruhe im Gazastreifen und das Leben der verbleibenden israelischen Geiseln.
Seine Pläne geben Netanyahu die Möglichkeit, den Krieg im Gazastreifen in die Länge zu ziehen und an der Macht zu bleiben. Die gefährlichere Eskalation im Nahen Osten droht aber gegenüber dem Iran, das geht wegen Trumps wahnwitzigen Ideen für den Gazastreifen derzeit unter.
Wie meinen Sie das?
Trump und Netanyahu haben hinter verschlossenen Türen sicher auch über den Iran gesprochen. Der US-Präsident will verhindern, dass Iran Atomwaffen bekommt, gleichzeitig hat er Israels Premier Netanyahu von den Restriktionen der Biden-Regierung befreit. Biden hielt Netanyahu davon ab, gewisse Waffensysteme einzusetzen. Die grosse Frage ist nun, ob es irgendwann einen präventiven Angriff zur Zerstörung der Nuklearanlagen im Iran geben wird.
Der US-Präsident sorgt nicht nur in Nahost für Unruhe, er versuchte gerade, die Uno zu demontieren. Sehen Sie die werte- und regelbasierte Ordnung, auf die der Westen baut, in Gefahr?
Diese Ordnung der letzten Jahrzehnte war das Ergebnis einer überlegenen amerikanischen Macht. Trump zerstört sie gerade. Europa schaut dabei zu und lernt, dass es nie die Ordnung der Europäer war, weil sie diese nie selbst garantieren konnten.
War Europa blind?
Ja, wir sind weiterhin im Tiefschlaf. Wir haben uns angewöhnt, die Machtdimension von Politik nicht mehr zu berücksichtigen, ausser in innenpolitischen Auseinandersetzungen, wenn gerade Wahlkampf ist.
Und werden deshalb von Trump vorgeführt?
Er macht, was er will, weil es kaum Widerstand gibt, auch in den USA selbst. Alle wussten, was auf sie zukommt, trotzdem hat sich offenbar niemand auf diese Lage vorbereitet. So ist das eben: Wird ein Marathon gelaufen, und man hat die letzten drei Jahre damit zugebracht, viel Schokolade zu essen statt zu trainieren, dann kommt man nicht ans Ziel. Europa muss einen Weg finden, mit dieser Abhängigkeit unter Trump klarzukommen.
Zurück zum Gazastreifen. Können Sie den radikalen Ideen Trumps auch etwas Gutes abgewinnen?
Trump hat alle blossgestellt, die seit Jahrzehnten propagieren, dass der Nahost-Konflikt mit einer Zwei-Staaten-Lösung beendet werden muss. Konkrete Pläne zur Umsetzung gab es aber nicht, niemand wollte sich an dem Thema die Finger verbrennen. Trump hat das schonungslos offengelegt, indem er wie eine Abrissbirne dazwischenging und sagte: Dann machen wir halt etwas anderes.
Die Riviera-Fantasien könnten der Zwei-Staaten-Lösung neuen Schwung bringen?
Sie könnten eine Chance sein, nur wird diese niemand wahrnehmen. Die Vereinigten Staaten haben sich aus solchen Überlegungen verabschiedet, Israel verfolgt seine ganz eigenen Interessen, die Europäer spielen keine Rolle, und Russland ist ganz froh, wenn es wenigstens seine Militärbasen in Syrien behalten kann. Deshalb passiert in dieser Frage in absehbarer Zeit gar nichts.