Neues Kapitel für Raimund Rodewald
Der umstrittenste Landschaftsschützer der Schweiz hört auf

Verhinderer der Nation oder bester Anwalt der Natur? Raimund Rodewald prägte den Kampf für Landschaftsschutz der vergangenen Jahre. Ein Porträt.
Publiziert: 15.10.2024 um 00:15 Uhr
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Aktualisiert: 16.10.2024 um 15:41 Uhr
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Raimund Rodewald wird Ende Oktober pensioniert.
Foto: Siggi Bucher

Auf einen Blick

  • Raimund Rodewald geht in den Ruhestand
  • Er hat Energieprojekte gestoppt und Landschaften geschützt
  • 70 Prozent seiner Einsprachen waren erfolgreich
  • Er erhielt Morddrohungen wegen seiner Arbeit
  • Nach der Pensionierung will er schreiben und malen
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Tobias BruggmannRedaktor Politik

Die Rotoren der Windräder auf dem Mont Soleil drehen stark, als Raimund Rodewald (65) aus der Standseilbahn steigt. Als Geschäftsführer der Stiftung Landschaftsschutz hat er schon viele erneuerbare Energieanlagen verhindert. Nun wird er pensioniert – und lädt ausgerechnet auf jenen Berg im Berner Jura, wo neben mehreren Windrädern auch ein Solarpark steht.

Der Landschaftsschützer freut sich über die Energieanlagen. «Sie passen in die Landschaften und werden von der Bevölkerung akzeptiert.» Wie zum Beweis zeigt der Landschaftsschützer auf die Trottinette, die bei der Bergstation stehen. «Man hat die Energieproduktion genutzt, um die Leute zu informieren und Touristen auf den Berg zu locken.»

Kritik an der Politik

Bei anderen Projekten geben sich die Landschaftsschützer strenger. Eine Solaranlage auf der Alp Morgeten BE? Nein. Das Wasserkraftwerk auf dem Gornerli in Zermatt VS vergrössern? Nein. Ein Verhinderer sei er deswegen nicht, erklärt Rodewald auf dem kurzen Spazierweg zu den Windrädern. «Damit wir eine Beschwerde machen, muss geltendes Umweltrecht verletzt werden. Wir klagen nicht, wenn es uns einfach nicht passt.» In vielen Fällen sei schlecht geplant worden. Immer wieder verweist Rodewald auf seine Erfolgsbilanz. 70 Prozent der Einsprachen werden gutgeheissen. Noch in den 90er-Jahren habe die Quote bei rund 45 Prozent gelegen.

Dass es mehr Einsprachen brauche, sei auch der Politik geschuldet, so Rodewald. Die Qualität der Gesetzgebung habe nachgelassen. «Wer Gesetze wie den Solarexpress erlässt, muss sich über Einsprachen nicht wundern.» Dem neuen Stromgesetz, das die Schweiz im Sommer beschlossen hat, stimmte Rodewald zu. «Auch, weil das Verbandsbeschwerderecht weiterhin gelten soll.»

Umweltpolitiker wollen Verbandsbeschwerden begrenzen

Geht es nach den Umweltpolitikern des Ständerats, soll das Verbandsbeschwerderecht für 16 Wasserkraftprojekte eingeschränkt werden, denen das Volk im Rahmen des Stromgesetzes zugestimmt hat.

«Mit dem Stromgesetz haben wir der Bevölkerung versprochen, dass diese 16 Projekte auch gebaut werden. Dieses Versprechen müssen wir halten», sagt Mitte-Ständerat Beat Rieder (61). «Mit den Beschwerden wird das Volk an der Nase herumgeführt und der Ausbau der wertvollen Wasserkraft als tragende Säule der Energiewende vereitelt!»

Es sind noch weitere Erleichterungen für den Bau von Wind-, Wasser- oder Solaranlagen geplant. So soll kein Richtplaneintrag mehr nötig sein, wenn eine Anlage in einem Gebiet entstehen soll, das der Kanton für «geeignet» ansieht. Geht es nach der Kommission, werden Bauherren von Energieanlagen entlastet, indem sie schützenswerte Lebensräume nicht mehr direkt beim Bauprojekt ersetzen müssen. Stattdessen dürfen sie den Kanton dafür bezahlen, dass er Schutzräume sucht.

Auch der Solarexpress soll verlängert werden. Bislang galt: Bis 2025 muss ein Teil der Energie ans Netz, sonst gibt es keine Subventionen. Neu muss das Projekt bis dahin nur öffentlich aufgelegt werden. Nun muss der Ständerat entscheiden.

Für 16 Wasserkraftprojekte soll das Verbandsbeschwerderecht eingeschränkt werden. So will es die Umweltkommission des Ständerats.
Keystone

Geht es nach den Umweltpolitikern des Ständerats, soll das Verbandsbeschwerderecht für 16 Wasserkraftprojekte eingeschränkt werden, denen das Volk im Rahmen des Stromgesetzes zugestimmt hat.

«Mit dem Stromgesetz haben wir der Bevölkerung versprochen, dass diese 16 Projekte auch gebaut werden. Dieses Versprechen müssen wir halten», sagt Mitte-Ständerat Beat Rieder (61). «Mit den Beschwerden wird das Volk an der Nase herumgeführt und der Ausbau der wertvollen Wasserkraft als tragende Säule der Energiewende vereitelt!»

Es sind noch weitere Erleichterungen für den Bau von Wind-, Wasser- oder Solaranlagen geplant. So soll kein Richtplaneintrag mehr nötig sein, wenn eine Anlage in einem Gebiet entstehen soll, das der Kanton für «geeignet» ansieht. Geht es nach der Kommission, werden Bauherren von Energieanlagen entlastet, indem sie schützenswerte Lebensräume nicht mehr direkt beim Bauprojekt ersetzen müssen. Stattdessen dürfen sie den Kanton dafür bezahlen, dass er Schutzräume sucht.

Auch der Solarexpress soll verlängert werden. Bislang galt: Bis 2025 muss ein Teil der Energie ans Netz, sonst gibt es keine Subventionen. Neu muss das Projekt bis dahin nur öffentlich aufgelegt werden. Nun muss der Ständerat entscheiden.

Doch Umweltpolitiker des Ständerats wollen dieses für die 16 Wasserkraftprojekte aushebeln, die im Stromgesetz stehen – und gleichzeitig auch den Solarexpress verlängern. Das bringt Rodewald auf die Palme. «Wie man hier argumentativ einfährt, geht mir gegen den Strich. Damit wird – einzigartig in Europa – die Justiz abgeschafft, da ja dann niemand mehr eine gerichtliche Überprüfung erreichen kann!»

Rilke liefert Impulse

Ausgerechnet jetzt geht Rodewald. Zu einer Zeit, in der der Landschaftsschutz immer stärker unter Druck gerät. Sorgen macht er sich deswegen nicht. «Die Entwicklung des Landschaftsschutzes war immer wellenförmig. Die Schönheit unserer Natur wird die Hektik der Alltagspolitik überdauern.»

Die Schönheit spielt eine wichtige Rolle im Leben von Rodewald. An der Universität Basel doziert er zu Landschaftsästhetik, in seiner Freizeit findet er bei Dichter Rainer Maria Rilke (1875–1926) «wichtige Impulse» für die Arbeit. «Ich habe immer die Frage gestellt, was schön ist – auch bei meiner Arbeit.» Trotzdem dürfe bei Windrädern nicht der Geschmack entscheiden. «Am Schluss ist die Frage, was ein Bau insgesamt ausdrückt.»

Vom Tier- zum Landschaftsschützer

Eigentlich wollte Rodewald Tierschützer werden. Dass er dann zum Landschaftsschützer wurde, hatte praktische Gründe – das Biologiestudium passte besser. Den Respekt vor den Pflanzen bewegt ihn noch immer. «Insofern bin ich diesem Kindheitstraum nach wie vor auf der Spur.» Auch privat pflegt er ehrenamtlich Grünflächen der SBB oder hilft beim Bau von Trockenmauern mit, wie jene gleich neben den Solaranlagen auf dem Mont Soleil. Stolz posiert er daneben fürs Foto.

Landschaftsschützer Raimund Rodewald packt beim Bau von sogenannten Trockenmauern auch selbst an.
Foto: Siggi Bucher

Rodewald legt sich mit jedem an – ob es dabei um Energiefragen oder Raumplanung geht. Milliardär Samih Sawiris (67) musste sein Skigebiet in Andermatt UR verkleinern, Autobahnprojekte wurden nach seinen Vorstellungen umgeplant, und er zwang Formel-1-Legende Michael Schumacher (55), sein Bauvorhaben im Naturschutzgebiet von Wolfhalden AR aufzugeben.

Besonders dieser Fall brachte ihm Kritik ein. «Der Blick hat seitenweise über mich berichtet», erinnert er sich. «Ich erhielt Morddrohungen, anonyme Telefone in der Nacht.» Er brauchte Polizeischutz. «Das hat mir schon Angst gemacht.»

In der politischen Arbeit habe er sich von persönlicher Kritik nie beeindrucken lassen. «Aber natürlich habe ich dazugelernt. In der Schweiz kannst du alles kritisieren. Aber nicht, wenn jemand die Schweizer Fahne irgendwo an einen Felsen hängt.» 2015 wollten Privatleute eine 8 mal 8 Meter grosse Fahne auf dem Born im Kanton Solothurn aufhängen. Rodewald schrieb Leserbriefe dagegen – und musste am Schluss zurückrudern.

Der Kampf um die Heimat

Rodewalds Kampf um die Landschaft ist auch ein Kampf um die Heimat. Rodewald selbst ist Secondo, seine Wurzeln liegen in Schlesien, dem heutigen Polen. In Neuhausen am Rheinfall SH wuchs er auf. Doch selbst dort musste er sich anhören, er solle «sich nicht einmischen». Es ging um ein Projekt, bei dem er den Bau von Hochhäusern am Rheinfall unterstützte.

Nach dem Fototermin geht es zurück in die Seilbahn und nach Biel BE, wo Rodewald mittlerweile wohnt. Aber: «Ich bin an vielen Orten zu Hause. Überall dort, wo ich wirken konnte, wo mir Leute mit einem Lächeln entgegenkommen, fühle ich mich sofort heimisch», sagt er mit einem Lächeln. «Ich habe meine Heimat gefunden.»

Nach der Pensionierung will Rodewald weiterarbeiten – zumindest teilweise. Bücher schreiben und eine Veranstaltungsreihe zum 100-Jahr-Jubiläum von Rainer Maria Rilke organisieren. Dazu singt Rodewald in einem Quartett und malt Aquarellbilder. Landschaften natürlich. «Aber manchmal kommt auch ein Auto drin vor.»

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