Neue SRK-Direktorin
«Es ist gefährlich, Gelder zu kürzen»

SRK-Direktorin Nora Kronig warnt vor Kürzungen bei der Entwicklungshilfe: «General Dufour hat nicht nur ans Militär gedacht, sondern auch an die humanitäre Schweiz.» In ihrem ersten Interview spricht sie auch über den Streit in der Rotkreuzfamilie.
Publiziert: 09.09.2024 um 14:38 Uhr
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Nora Kronig ist die neue Direktorin des Schweizerischen Roten Kreuzes.
Foto: Thomas Meier

Auf einen Blick

  • Warum Kürzungen bei der Entwicklungshilfe gefährlich werden
  • Das SRK braucht mehr Wertschätzung von der offiziellen Schweiz
  • SRK hatte viralen Hit mit Tiktok-Video in der Romandie
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Frau Kronig, können Sie als gelernte Diplomatin den Streit im Schweizerischen Roten Kreuz beenden?
Nora Kronig: Ich sehe keinen grossen Streit. Es ist eine Ehre, diesen Job machen zu dürfen. Viele Menschen sind in Not und brauchen Hilfe. Darum gehts.

Ihr Vorgänger Markus Mader hat sich mit der damaligen SRK-Präsidentin Barbara Schmid-Federer heftig gezofft. Am Ende mussten beide gehen.
Ich schaue nach vorne. Die Menschen in Not brauchen ein SRK, das anpackt und nicht mit sich selbst beschäftigt ist.

Wie verstehen Sie sich mit dem neuen SRK-Präsidenten Thomas Zeltner?
Wir haben eine sehr gute und sehr professionelle Zusammenarbeit.

Herr Zeltner ist als Übergangspräsident angetreten. Wie lange bleibt er im Amt?
Er wurde für vier Jahre gewählt, will sich aber zurückziehen, wenn wir die Lehren aus den letzten Jahren gezogen haben. Ich gehe davon aus, dass er noch zwei bis drei Jahre im Amt bleibt.

Bleibt er länger, weil die Probleme grösser sind als gedacht?
Nein. Die SRK-Familie besteht aus 30 Mitgliedsorganisationen. Das braucht einfach Zeit.

Persönlich

Nora Kronig Romero (44) ist verheiratet und hat eine dreijährige Tochter. Die Diplomatin ist in Genf aufgewachsen und hat Wurzeln im Oberwallis. Seit Mai ist sie Direktorin des Schweizerischen Roten Kreuzes. Zuvor war sie Vizedirektorin des Bundesamts für Gesundheit (BAG) und hier unter anderem für die Impfstoffbeschaffung während der Corona-Pandemie zuständig. Kronig Romero studierte Wirtschaftspolitik an der HSG und trat anschliessend in den diplomatischen Dienst ein.

Nora Kronig Romero (44) ist verheiratet und hat eine dreijährige Tochter. Die Diplomatin ist in Genf aufgewachsen und hat Wurzeln im Oberwallis. Seit Mai ist sie Direktorin des Schweizerischen Roten Kreuzes. Zuvor war sie Vizedirektorin des Bundesamts für Gesundheit (BAG) und hier unter anderem für die Impfstoffbeschaffung während der Corona-Pandemie zuständig. Kronig Romero studierte Wirtschaftspolitik an der HSG und trat anschliessend in den diplomatischen Dienst ein.

Wie viel Streit gibt es aktuell in der SRK-Familie?
Ich wurde sehr herzlich empfangen und spüre einen riesigen Appetit, zusammenzuarbeiten und etwas für Menschen in Not zu machen.

Manche Kantonalverbände finden den Appetit der SRK-Zentrale zu gross. Sie wünschen sich eine schlanke Zentrale.
In Familien streitet man sich immer wieder. Unterschiedliche Meinungen sind eine Bereicherung. Wichtig ist, dass wir am Ende gemeinsam entscheiden, wie es weitergeht.

Das heisst, Sie wollen nicht sparen?
Dafür sind die humanitären Bedürfnisse in der Schweiz und im Ausland zu gross. Wir werden gebraucht, und zwar überall: in den Kantonen, auf nationaler Ebene und international.

Während der Führungskrise haben Spendeneinnahmen und Image des SRK gelitten. Konnten Sie den Schaden reparieren?
Unterm Strich gab es keinen Spendenrückgang, wofür wir unseren Spenderinnen und Spendern sehr dankbar sind. Auf dem GfK-Reputationsindex sind wir zwischendurch vom zweiten auf den sechsten Platz gefallen. Mittlerweile konnten wir wieder aufholen und sind auf dem dritten Platz.

Viele Vereine beklagen eine Krise des Ehrenamts. Wie siehts beim SRK aus?
Unsere Mitgliederzahlen sind stabil, doch der Altersdurchschnitt wird nicht jünger. Das Jugendrotkreuz sorgt für Nachwuchs, aber wir müssen uns weitere Gedanken machen.

An was denken Sie?
Letztes Jahr hatten wir in der Romandie einen viralen Hit: Nach einem Tiktok-Video haben sich in der Waadt 500 Jugendliche für einen Freiwilligeneinsatz gemeldet. Wir hatten gar nicht so viele freie Plätze (lacht). Das Beispiel zeigt: Die Jugend möchte sich engagieren.

Nach mehr als 100 Tagen im Amt: Welches Schicksal hat Sie besonders berührt?
Ich bin täglich mit Lebensgeschichten konfrontiert, die mich sehr berühren. Ich denke etwa an einen jungen Afghanen, der in unserem Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer behandelt wurde.

Bürgerliche Politiker fordern Abschiebungen nach Afghanistan.
Wir sind auf der Seite der Menschen. Allen Flüchtlingen muss geholfen werden, und traumatisierten Menschen erst recht. Das gehört zur humanitären Schweiz.

Vergessen bürgerliche Politiker diese humanitäre Tradition?
Wir erhalten von allen Parteien Unterstützung, und unsere 50'000 Freiwilligen bilden das ganze politische Spektrum ab.

Hat sich schon ein SVP-Politiker bei Ihnen beschwert, dass Sie die Seenotrettung im Mittelmeer mitfinanzieren?
Nein. Um die Seenotrettung kümmert sich die Rotkreuz-Föderation, und Leben retten ist ganz in der Tradition von Henry Dunant.

Der Bundesrat will bei der Entwicklungszusammenarbeit deutlich sparen. Welche Konsequenzen hätte das für das SRK?
Das hätte dramatische Konsequenzen, etwa bei der Katastrophenhilfe. Wir haben uns stark beim Erdbeben in Marokko engagiert. Wenn der Bund uns weniger Geld gibt, müssen wir unsere Aktivität einschränken. Die Sparmassnahmen würden uns international schwächen, denn die Botschaft wäre: Das SRK kann nicht mehr auf die offizielle Schweiz zählen.

Haben Sie als ehemalige Diplomatin Hemmungen, Bundesrat Cassis direkt zu kritisieren?
Noch ist nichts entschieden. Ich spüre im Parlament eine grosse Wertschätzung für unser humanitäres Engagement. Ich wünsche mir von Herrn Cassis, dass wir diese Wertschätzung auch von der offiziellen Schweiz erhalten.

Verstehen Sie, dass ein so reiches Land wie die Schweiz weniger als 0,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Entwicklungshilfe ausgibt – und nicht die international geforderten 0,7 Prozent?
Ehrlich gesagt nein! General Dufour hat beim Entstehen des SRK eine sehr wichtige Rolle gespielt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er Militärausgaben und humanitäre Hilfe gegeneinander ausgespielt hätte.

Worauf wollen Sie hinaus?
Mehr Krieg und mehr Waffen bedeuten mehr Verwundete. Wenn wir das Militär stärken, müssen wir auch mehr für Verwundete und Flüchtlinge tun. Nur dann ist unser Engagement komplementär.

Unterstützen Sie den Deal der Mitte-Frauen, beides zu stärken: Armee und Entwicklungsarbeit?
Die Parlamentsdebatte muss auch die humanitäre Dimension von Kriegen bedenken. Es gibt immer mehr Konflikte auf der Welt. Allein in der Ukraine, in Gaza und im Sudan leiden Millionen von Menschen. Es ist gefährlich, Gelder zu kürzen, weil Entwicklungszusammenarbeit zugleich Friedensarbeit ist.

Der Ständerat will Entwicklungshilfe stärker an Migrationsabkommen koppeln. Empört Sie das?
Ein Grundsatz der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung ist die Unparteilichkeit. Wir sehen täglich, wie oft Migration in Vulnerabilität mündet. Beim Einsatz für Menschen dürfen keine Unterschiede gemacht werden.

Die Kommission Gaillard schlägt vor, eine Million Franken beim Rotkreuzmuseum in Genf zu sparen.
Gerade letzten Donnerstag habe ich das Internationale Rotkreuz- und Rothalbmondmuseum in Genf besucht. Es bewegt mich immer wieder, wie das Engagement für die humanitären Werte einem internationalen Publikum vermittelt wird. Das kommt auch der Schweiz zugute.

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