SRK-Chef Thomas Zeltner will Rotkreuzrat umbauen
«Da sitzen zu viele alte weisse Männer drin»

Er will das älteste und grösste Hilfswerk aus der Krise führen. Wie der neue Präsident des Schweizerischen Roten Kreuzes Thomas Zeltner dabei vorgeht und wegen welchem Schicksalsschlag er den Posten zuerst ablehnte.
Publiziert: 11.08.2023 um 17:21 Uhr
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Aktualisiert: 15.01.2024 um 14:02 Uhr
Thomas Zeltner ist neuer Chef des Schweizerischen Roten Kreuzes.
Foto: keystone-sda.ch
Jessica Pfister
Schweizer Illustrierte

Das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) hat stürmische Zeiten hinter sich. Schon seit Jahren kriselte es zwischen Direktor Markus Mader (59) und den Kantonalverbänden. Im vergangenen Dezember dann der Knall: Der Rotkreuzrat trennte sich per sofort von Mader. Darauf kam dessen Präsidentin Barbara Schmid-Federer (57) ins Kreuzfeuer der Kritik. Anfang Juni trat die frühere Zürcher Nationalrätin zurück – «aus gesundheitlichen Gründen».

Am 24. Juni wählten die Delegierten Thomas Zeltner (75) zum neuen Präsidenten. Der Arzt und langjährige Chef des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) soll Ruhe in die Organisation bringen. Beim Treffen am Hauptsitz des SRK im Berner Monbijou-Quartier wirkt Zeltner gut gelaunt. Er erzählt, dass er unweit der Zentrale in der Berner Altstadt im vierten Stock wohnt – ohne Lift. «Das hält fit.»

Artikel aus der «Schweizer Illustrierten»

Dieser Artikel wurde aus der «Schweizer Illustrierten» übernommen. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.

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Mit 62 Jahren sind Sie als Direktor des BAG freiwillig zurückgetreten – auch wegen der Work-Life-Balance. Nun sind sie 75 und übernehmen diesen schwierigen Posten. Warum tun Sie sich das an?
Weil mir das SRK sehr am Herzen liegt. Seit meiner Kindheit kenne, und bewundere ich die Organisation. Einer der besten Freunde meiner Eltern war Alfred Hässig, der Gründer der Blutspende Schweiz – notabene einer Unterorganisation des SRK. Später war ich dort selbst Präsident des Verwaltungsrats. Als das SRK in eine Schieflage gekommen war, ging mir das nah. Ich sagte mir: Wenn ich helfen kann, mache ich das gerne.

Sie haben aus Pflichtgefühl zugesagt?
Nein. Als die erste Anfrage kam, sagte ich ab.

Weshalb?
Am 15. Februar ist meine Frau völlig überraschend gestorben. Am 17. Februar bekam ich den Anruf vom SRK. Da war meine Antwort klar Nein.

Wie kam es dann doch zur Zusage?
Natürlich bin ich noch nicht über den Tod meiner Frau hinweg, es ist eine grosse Trauer in mir. Ich stelle mir im Alter aber zunehmend die Frage nach der Sinnhaftigkeit: Wo kann ich nützlich sein? Beim SRK hatte ich zudem das Gefühl: Die Aufgabe kommt mir nicht unbekannt vor. Ich habe in meiner Karriere öfters Situationen erlebt, bei denen ich den Eindruck hatte: oh, là, là!

Wo zum Beispiel?
Bei der Weltgesundheitsorganisation WHO gab es schwierige Diskussionen – etwa beim Umgang mit Tabak oder mit den Pandemien. Und vom BAG her kenne ich die Meinungsdifferenzen zwischen den Kantonen und dem Bund. Ich fange also nicht bei null an. Das spüren die Leute.

Der Berner Arzt und Rechtswissenschaftler Thomas Zeltner (hier links mit dem späteren Covid-Verantwortlichen Daniel Koch) war von 1991 bis 2009 Direktor des Bundesamts für Gesundheit.
Foto: Keystone

Sie sehen sich als Vermittler?
Zum Teil, ja. Durchbefehlen will ich sicher nicht (lacht). Aber natürlich sehe ich mich auch als Führungsperson, die in die Zukunft schaut. Von meiner früheren Chefin Ruth Dreifuss lernte ich: Konflikte gehören auf den Tisch.

Aber zur Zukunft gehört auch, die Vergangenheit aufzuarbeiten, oder?
Auf jeden Fall. Die Mitarbeitenden haben die letzten Monate enorm gelitten. Mir ist es ein grosses Anliegen, ihnen zuzuhören und auf sie zuzugehen.

In einem externen Untersuchungsbericht war von toxischer Stimmung auf der Geschäftsstelle die Rede. Und heute?
Es war ein glücklicher Zufall, dass ich im Juni, kurz nach der Wahl zum Präsidenten, bereits an einem Anlass für alle Mitarbeitenden teilnehmen konnte. Da spürte ich anfangs deren Anspannung – aber dann auch ein Aufatmen. Sie sehen: Da ist jemand, der uns über die Klippe hilft.

Wie vermitteln Sie das konkret?
Ich bin, wie ich bin. Dazu gehört auch mal ein kecker Spruch. Wobei mir hier die Erfahrung hilft: Ich habe keine Angst, mich zu exponieren. Eigentlich wollen wir ja alle das Gleiche: Menschen in Not Hilfe bieten. Eine grossartige Aufgabe!

Sie stehen für den Neuanfang. Doch im Rotkreuzrat, dem höchsten Gremium des SRK, sitzen immer noch Leute aus der Krisenzeit. Das sorgte für Kritik!
Ich finde es richtig, wenn ein Teil des Gremiums über die Vergangenheit Bescheid weiss. Sind nur neue Leute in der Verantwortung, besteht die Gefahr, dass sie in die gleichen Hindernisse laufen. Die Zusammensetzung des Rats ist allerdings nicht zeitgemäss. Da sitzen zu viele alte weisse Männer drin (schmunzelt). Darum gibt es in den kommenden Monaten eine breite Konsultation, in der die Anforderungen an den Rat und an das Präsidium definiert werden. Wer diesen nicht entspricht, tritt im Juni 2024 zurück.

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«Da sitzen zu viele alte weisse Männer drin»
SRK-Chef Thomas Zeltner über die Zusammensetzung des Rotkreuzrates
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Sehen Sie sich als Übergangspräsidenten?
Nein. Ich möchte so lange bleiben, bis wir wieder so stark sind wie früher und wie es der Allgemeinheit dient. Zehn Jahre sind das aber sicher nicht.

Das eine sind die Mitarbeiter, das andere ist das Image gegen aussen. Wie gewinnen Sie nach all den Negativschlagzeilen das Vertrauen der Spenderinnen zurück?
Bei den Erdbeben in Syrien und der Türkei haben wir gesehen, dass die Spendenfreudigkeit gut ist. Die Leute vertrauen und unterstützen uns weiterhin. Und: Die vielen SRK-Freiwilligen haben auch während der schwierigen Monate weiter ihre Arbeit geleistet, alles hat funktioniert. Nun geht es darum, dieses Vertrauen vor Ort wieder auf das ganze Rote Kreuz auszuweiten.

Gemäss der «Sonntagszeitung» soll es aber bei den potenziellen Neuspendern harzen.
Für ein Fazit ist es noch zu früh. 2022 verzeichneten viele NGOs aufgrund des Ukraine-Kriegs ein Spitzenjahr. Wenn man die Ukraine-Spenden abzieht und die Zahl mit diesem Jahr vergleicht, ist die Differenz nicht mehr gross.

Das SRK ist zum ersten Mal nicht mehr in den Top 3 der renommiertesten Unternehmen. Macht Ihnen das keine Sorgen?
Das Vertrauen zu zerstören, ist einfach – es aufzubauen, ist schwierig. Ich werde sicher sehr viele Gespräche führen, etwa mit den eigenen Rettungsorganisationen. Was ich aber spüre: Die Menschen in der Schweiz sehen das SRK – sicher auch wegen der Nähe zur Schweizer Fahne – als Teil von ihnen. Diesen starken Bezug zu einer Organisation zerstört man nicht so schnell.

Thomas Zeltner muss mit der stellvertretenden Direktorin Karolina Frischkopf das SRK umbauen.
Foto: keystone-sda.ch

Wie lösen Sie den Konflikt zwischen der Zentrale und den Kantonalsektionen?
Zuerst mal ist festzuhalten, dass es diesen Konflikt nicht immer gab. Aber es gibt durchaus berechtigte Anliegen der Kantonalverbände und der Zentrale. Da müssen wir nun schauen, wie man wieder auf einen gemeinsamen Nenner kommt. Das Reorganisationsprojekt «Fil Rouge» sehe ich da als Chance. Dabei soll das SRK als Verbundsystem funktionieren und nicht als zentral geführte Organisation. Das Ganze soll schlanker und agiler werden.

Wie läuft die Suche nach einer neuen Direktorin oder einem Direktor?
In den nächsten Wochen wird die Stelle offiziell ausgeschrieben. Wir hoffen, dass die neue Person Ende Jahr oder Anfang 2024 neu anfängt. Für die gute Einführung bin ich da.

Sind Sie mit Markus Mader im Gespräch?
Ja, gerade letzte Woche wieder. Wir versuchen, auch für ihn eine gute Lösung zu finden.

Und mit Frau Schmid-Federer?
Ja, natürlich war ich auch mit ihr im Kontakt. Es sind Menschen in diesem Prozess verletzt worden. Jeder und jede verdient Respekt und soll gehört werden.

Was wäre Ihr Wunschprofil für die neue Direktionsperson?
Jemand, der oder die Erfahrung mit komplexen Organisationen hat und keine Angst vor Veränderung.

Sie sind Grossvater, haben Sie mit dem neuen Amt noch Zeit für Ihre Enkel?
Ich bin sogar Urgrossvater! Ich habe sechs Enkel und acht Urenkel. Der jüngste ist ein halbes Jahr alt. Klar habe ich noch Zeit, das Präsidium ist kein 100-Prozent-Pensum.

Noch eine Frage zum Schluss: Hätten Sie sich gegen das Amt entschieden, wenn Ihre Frau noch am Leben wäre?
Als Gastprofessor in Harvard hatte ich viele Verpflichtungen in den USA und habe diese auf Wunsch meiner Frau aufgegeben. Sie fand zu Recht: Wofür bist du pensioniert, wenn du nie zu Hause bist? Darum habe ich mehr Projekte in der Nähe übernommen, etwa bei der WHO in Genf. Meine Frau sagte jeweils: Musst du noch raus und etwas wichtig tun (lacht). Wir haben über alle Engagements diskutiert. Ich bin mir ziemlich sicher, was sie beim SRK gesagt hätte: Schatz, mach es!

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