Im hohen Gras auf dem Hof von Roland und Mariette Heuberger in Hosenruck TG wimmelt es von Insekten. Eine Wildblumenwiese, Hecken und alte Hochstamm-Apfelbäume gehören genauso zum Hof wie Getreideäcker und Weiden für die 24 Kühe. Naturnah, gesund, bodenständig – dieses Bild zeichnen wir gerne von der Schweizer Landwirtschaft.
Aber: Auf vielen Betrieben wird ganz anders produziert als auf jenem der Heubergers. Intensiver. Mit Pestiziden, grösseren Tierbeständen und importiertem Futter. Das alles hat Folgen: Die Biodiversität schwindet, das Insektensterben nimmt seinen Lauf, die Böden sind übernutzt und die Gewässer belastet. Zwar formulierten das Bundesamt für Umwelt und jenes für Landwirtschaft vor zwölf Jahren 13 Umweltziele für die Landwirtschaft. Bis heute aber ist keines davon erreicht.
Schuld am ganzen Schlamassel sei vor allem die Agrarlobby, sagen die Umweltverbände Pro Natura, WWF, Greenpeace und Birdlife. Und starten darum jetzt eine neue Kampagne: «Agrarlobby stoppen».
Welche Interessen vertritt die Agrarlobby?
Die Agrarlobby verteidige eine auf Hochleistung getrimmte Landwirtschaft und verhindere damit den Kurswechsel zu einer zukunftsfähigen, ökologischen Landwirtschaft, kritisieren die Umweltverbände. Zudem stehe sie nicht für die Bauernfamilien ein, wie sie vorgebe, sondern stützte die Interessen von Pestizidherstellern, Futtermittel-Importeuren und Maschinenindustrie. Das führt dazu, dass Bauernfamilien – obwohl sie immer mehr produzieren – finanziell kaum besser gestellt sind. «Wir Landwirte werden immer mehr zu Restgeldempfängern», sagt auch Roland Heuberger. Darum gehört der Bauer zu den Erstunterzeichnenden eines Appells, der Teil der neuen Kampagne ist. Darin wird unter anderem eine Agrarpolitik verlangt, die den Pestizid- und Düngereinsatz drastisch reduziert sowie die Produktion pflanzlicher Lebensmittel fördert. Auch der Bauernverband wird in die Verantwortung gezogen: Dieser soll als Sprachrohr der Agrarlobby konstruktiv an der ökologischen Weiterentwicklung der Landwirtschaft mitarbeiten und sich von den Interessen des Agrobusiness lösen.
Momentan ist eher das Gegenteil der Fall. So bekämpft die Verbandsspitze bei der aktuellen Agrarpolitik 22+ vehement Schritte, die auf eine ökologischere Landwirtschaft zielen. «Wenn ich mit Bauern rede, gibt es immer mehr, die ökologischer produzieren möchten», sagt Roland Heuberger. Aber bei den führenden Köpfen in den Verbänden hinke man hinterher. «Und der Bauernverband streut seinen Mitgliedern Sand in die Augen, wenn er ihnen sagt, sie machten alles richtig. Er müsste sagen: Ja, wir haben Probleme, packen wir die an. Alles andere ist eine Sackgasse.»
Zahlreiche Prominente unterstützen den Appell
Den Appell der Umweltverbände unterstützt auch der Berner Biowinzer Bruno Martin. Er engagiert sich seit langem für eine ökologischere Landwirtschaft. Dass bei einer Umstellung auf eine Biolandwirtschaft 30 Prozent vom Ertrag wegfallen würden, sei kein Grund, sie nicht endlich anzupacken. Denn: Nach rund acht Jahren sei die Leistung wieder dieselbe.
Auch Prominente wie die frühere Orientierungsläuferin Simone Niggli-Luder oder Markus Imhoof, Regisseur des Films «More than Honey», unterstützen den Appell. «Sowohl das Bienen- als auch das Bauernsterben wird durch die Agrarlobby vorangetrieben», sagt Imhoof. «Und es sollte uns zum Nachdenken bringen, dass Stadtbienen trotz des vielen Verkehrs viel gesünder sind als jene auf dem Land.»
Die Agrarlobby ist im Parlament stark vertreten
Handlungsbedarf sieht auch GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy. «Wir subventionieren im Moment unsere Umweltzerstörung», sagt sie. Es gebe zahlreiche Gesetzesartikel und darauf basierende Zahlungen, die umweltschädliche Praktiken in der Landwirtschaft förderten. «Diese bleiben bestehen, weil die Agrarlobby im Parlament so stark vertreten ist.»
Beim Bauernverband weist man die Vorwürfe derweil von sich. «Wir vertreten die Meinung der Mehrheit. Schon gar nicht fühlen wir uns irgendwelchen Firmen verpflichtet.» In den letzten Jahren hätten zudem grosse Entwicklungen stattgefunden, was die Ökologie in der Landwirtschaft betreffe. Und: «Wir setzen auch weniger Pestizide als beispielsweise die Bauern in den Nachbarländern ein. Nicht zuletzt haben wir viele und strenge Gesetze und ein funktionierendes Kontrollsystem.»
Bauer Heuberger hingegen findet: «Auch das Ausland verbessert sich ständig. Wir sollten uns nicht auf Vergleiche konzentrieren, sondern darauf, wie wir es in der Schweiz am besten machen können. Nur so können wir längerfristig die Fruchtbarkeit unserer Böden gewähr leisten.»