Am Donnerstag lud Markus Ritter (52) Journalisten auf einen Bauernhof im bernischen Moosseedorf. Der CVP-Nationalrat bot eine Polit-Inszenierung wie aus dem Lehrbuch. Ritter, der gewiefte Agrarlobbyist, verwandelte sich in Ritter, den besorgten Umweltschützer. Als er auf den Klimawandel zu sprechen kam, wirkte der Ostschweizer auf einmal wie Greta Thunberg: «Wir müssen jetzt handeln.»
Hinter den Kulissen tönt der oberste Schweizer Landwirt bei Öko-Themen allerdings ganz anders. SonntagsBlick liegen E-Mails vor, die Ritter an seine CVP-Fraktionskollegen vor der Sommersession des Parlaments verschickt hatte.
Anlass waren zwei anstehende Volksbegehren, die den Chemieverbrauch in der Landwirtschaft eindämmen wollen: die Trinkwasser-Initiative und die Initiative für ein Pestizidverbot. Dass der Bauernverband beide Vorlagen ablehnt, ist bekannt. Wie aggressiv dessen Präsident gegen die Umweltanliegen agitiert, hingegen nicht.
Diskussion um Pflanzenschutzmittel verzögern
Bern, 24. Mai 2019: Ritter ist erzürnt. Die nationalrätliche Wirtschaftskommission hat zwar soeben beide Initiativen zur Ablehnung empfohlen. Aber es gilt um jeden Preis zu verhindern, dass die Umweltgifte im Wahlherbst zum Thema werden. Ritter versendet ein E-Mail. Betreff: «Pflanzenschutzmittel-Initiativen». Wichtigkeit: hoch.
Es sei «von grosser Wichtigkeit», schreibt er, dass die CVP in der anstehenden Session einen Rückweisungsantrag der Linken ablehne. Ansonsten droht Ritters Albtraum: dass die Debatte «direkt vor den Wahlen geführt» werde; denn dies sei «ganz im Sinne der Linken, der Grünen und der GLP – in diese Falle sollten wir nicht tappen».
Ziel von linksgrün sei es, «das Thema für den Wahlkampf auszuschlachten» und «wenn immer möglich in die Herbstsession 2019 zu verlagern».
Grüner Kurs der FDP schlägt Ritter auf den Magen
Dass die Besorgnis über Pflanzengifte bis ins bürgerliche Lager reicht, passt Ritter ganz und gar nicht – die Auseinandersetzung soll zum linken Ansinnen stilisiert werden.
Umso heftiger teilt der Bauernfunktionär gegen die Freisinnigen aus, die in der Wirtschaftskommission für einen indirekten Gegenvorschlag der SP und damit für ein restriktiveres Pestizid-Regime stimmten: «Die FDP war in der WAK-N ausser Rand und Band.» Deren grüner Kurs schlägt Ritter auf den Magen: «Die FDP hat nicht zum ersten Mal die Orientierung verloren und weiss in ihrem Kompass nicht mehr, wo Norden ist.»
Ausgerechnet Ritter, Vertreter einer hochsubventionierten Branche, argumentiert ökonomisch: CVP und BDP sollten im Nationalrat «in aller Klarheit für einen wirtschaftsfreundlichen Kurs einstehen, der auch die ökologischen und die sozialen Anliegen berücksichtigt».
Pestizide bleiben kein Thema
Auf Anfrage sagt Ritter, als Delegationsleiter der Fraktion in der vorberatenden Kommission habe er für die Beratung des Geschäfts in der Fraktion die Haltung der Delegation dargelegt. Dies sei für die Entscheidungsfindung eine wichtige Grundlage. «Die Fraktion ist mit wenigen Gegenstimmen dieser Beurteilung gefolgt.»
Tatsächlich: In der Sommersession hat der Nationalrat beide Initiativen abgelehnt. Mit SVP- und FDP-, aber auch mit CVP-Stimmen.
Pestizide bleiben vorerst aber ein Thema: Die Angelegenheit kommt im August in die ständerätliche Wirtschaftskommission. Am 20. Oktober ist Wahltag.