Vögel sind bedroht
Sogar die Spatzen verschwinden

Noch zwitschern heimische Vögel morgens von den Bäumen und begrüssen den Tag. Doch das könnte sich in den kommenden Jahrzehnten ändern.
Publiziert: 19.06.2020 um 14:29 Uhr
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Aktualisiert: 01.08.2020 um 22:37 Uhr
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Die Bestände einiger Vogelarten des Kulturlandes sind in den letzten fünfzig Jahren in der Schweiz um die Hälfte eingebrochen.
Foto: shutterstock
Atlant Bieri @higgsmag

Es könnte gut sein, dass wir in einigen Jahrzehnten ohne das Zwitschern von Amseln, Finken und Spatzen aufwachen. Denn diese und unzählige weitere Vögel sind bedroht – hier in der Schweiz und weltweit. Die Vogelpopulationen brechen ein.

Im Wochentakt erscheinen derzeit wissenschaftliche Studien und Berichte über das Verschwinden der Vögel. Es geht dabei nicht nur um seltene Arten wie Rebhuhn oder Wiedehopf, sondern auch um die häufigen wie Stockente oder Spatz. Gemäss dem 2018 veröffentlichen Schweizer Brutvogelatlas sind die Bestände bei einigen Arten des Kulturlandes in den letzten fünfzig Jahren um die Hälfte eingebrochen. Das sind Hunderttausende Vögel, die es in unserer Landschaft nicht mehr gibt.

Kunstdünger statt Hühnermist

Alle Weltregionen sind betroffen, von der Arktis bis nach Südamerika, von Hawaii bis nach Australien. Erschütternde Zahlen kamen im Oktober 2019 zum Beispiel aus Nordamerika. Dort hat sich die Vogelpopulation in den letzten fünfzig Jahren um rund einen Drittel des einstigen Bestandes verringert, das sind rund drei Milliarden Vögel weniger. In Irland, einstmals eine Hochburg für Wasservögel, sind die Bestände in nur zwanzig Jahren um vierzig Prozent eingebrochen.

Für diesen globalen Abwärtstrend gibt es einen katastrophalen Mix von Ursachen, welche die Vögel langfristig nicht überleben werden. Ihr Niedergang habe bereits vor hundert Jahren begonnen, sagt Stefan Bachmann, Medienverantwortlicher bei Birdlife Schweiz: «Damals begann der Mensch, die Landschaft zum Nachteil von Tieren und Pflanzen grossräumig zu verändern.» Das hatte vor allem mit der Industrialisierung der Nahrungsmittelproduktion zu tun. Dampf-Traktoren lösten Pferdegespanne ab und Kunstdünger den Hühnermist. Im Zuge einer möglichst effizienten Bewirtschaftung von Wiesen und Feldern verschwanden Hecken, Einzelbäume, Tümpel und Moore – und die Landschaft entwickelte sich zur grünen Wüste.

Überdüngte Wiesen: Halme stehen dicht an dicht

«In den überdüngten Wiesen von heute stehen die Halme dicht an dicht», sagt Peter Knaus, Ornithologe an der Schweizerischen Vogelwarte in Sempach LU und Mitautor des Schweizerischen Brutvogelatlasses. «Eine Feldlerche zum Beispiel kann da nicht mehr durchschlüpfen und der Zugang zu ihrer Nahrung, den Insekten, bleibt ihr verwehrt.»

Wenn es denn überhaupt noch Insekten in den Wiesen gibt. «Wir setzen immer noch grossflächig Pestizide ein. Dadurch schmälern wir die Nahrungsbasis der Vögel», sagt Bachmann von Birdlife Schweiz. Dabei sind 98 Prozent von ihnen für die Aufzucht ihrer Jungen auf Insekten angewiesen.

Unsere Siedlungen eignen sich nicht für Vögel

Die kontinuierliche Ausbreitung von Siedlungen ist ein weiterer Faktor, der den Vögeln zu schaffen macht. Vor allem auch die Art und Weise, wie wir Häuser bauen und Gärten anlegen. «Moderne Bauten sehen aus wie Schuhschachteln. Die sind zum Beispiel für Spatzen ein Problem», sagt Stefan Werner, Mitglied im Vorstand der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft Bodensee. Dort kartiert er seit Jahren die Vogelbestände rund um den Bodensee und stellt fest, dass sich Siedlungen immer weniger für Vögel eignen. «Bei den traditionellen Bauernhäusern gab es viele Nischen und Vorsprünge, wo Vögel brüten konnten. Heute gibt es an Neubauten kaum noch solche Strukturen und Gärten sind vielfach steril.»

Aus Vogelvielfalt wird Arten-Einheitsbrei

Und dann ist da noch der Klimawandel, der die Bestände auf globaler Ebene angreift. Viele Lebensräume werden derzeit wärmer. Das schade vor allem spezialisierten Vogelarten, sagt Pierre Gaüzère, Ornithologe an der Arizona State University in den USA. Er hat in Südfrankreich untersucht, wie sich die kombinierten Effekte von veränderter Landnutzung und Klimawandel auf die Vögel auswirken. «Vor allem spezialisierte Arten tun sich schwer damit. Sie können nicht so gut auf andere Lebensräume ausweichen, wenn das Klima in ihrem Gebiet plötzlich nicht mehr passt.» Das heisst, die spezialisierten Arten verschwinden und zurückbleiben diejenigen, die es auch sonst schon überall gibt. Die Vogelvielfalt wird von einem Arten-Einheitsbrei abgelöst.

In der Antarktis werden durch die steigenden Temperaturen ganze Nahrungsketten unterbrochen. «Durch das Abschmelzen des Meereises wird der Lebensraum des Krills zerstört. Dieser ist jedoch die Hauptnahrung der Adeliepinguine und der Zügelpinguine auf der antarktischen Halbinsel», sagt Heather Lynch, Ökologin an der Stony Brook University in den USA. Seit Jahren studiert sie die Bestandsentwicklungen der Pinguine. In einer kürzlich durchgeführten Zählung fand sie, dass in manchen Kolonien die Populationen massive Einbrüche um bis zu fünfzig Prozent erlitten haben. «Ich erwarte, dass dieser Trend sich fortsetzt und dass diese Pinguin-Arten schliesslich von Teilen der antarktischen Halbinsel verschwinden werden», sagt Lynch.

Die Vögel brauchen Schutz, um zu überleben

Den Abwärtsstrudel der Vögel aufzuhalten wäre möglich. Schutzmassnahmen greifen in der Regel gut. In den USA etwa haben die Bestände der Wasservögel in den letzten fünfzig Jahren um 56 Prozent zugelegt, weil viele Feuchtgebiete konsequent geschützt und renaturiert wurden.

Zudem brauche es auch in der intensiv genutzten Landwirtschaftszone Gebiete, die möglichst natürlich belassen werden, fordert der amerikanische Ornithologe Gaüzère. «Nur so kann eine grosse Bandbreite von Vogelarten den schnell voranschreitenden Klimawandel überleben.» Und Stefan Bachmann von Birdlife Schweiz ergänzt: «Wichtig ist, dass die Massnahmen langfristig sind. Sonst verpufft der Effekt.» Er sagt: «Vor ein paar Jahren hat die Landwirtschaftspolitik der EU das Anlegen von Brachen gefördert. Das half den Vögeln sehr.» Inzwischen wurde diese Praxis jedoch wieder geändert – und mit den Vogelbeständen geht es jetzt erneut bergab.

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