Zur Sache! Neue Non-Fiction-Bücher
Der Todfeind der Vogelwelt

Dieses Buch präsentiert die faszinierende Vielfalt der Vogelwelt und ist ein Aufruf zur Rettung der federleichten Luftakrobaten. Oder um es mit der Schweizer Band Dabu Fantastic zu sagen: «Chumm mir nehmed’s hei solang’s no läbt, bis’s wider flüügt.»
Publiziert: 09.05.2020 um 13:09 Uhr
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Aktualisiert: 12.07.2020 um 02:01 Uhr
ausgelesen von Dr. phil. Daniel Arnet

Krähen nisten auf der hohen Tanne im Garten gegenüber, Amseln tirilieren durch mein offenes Fenster, und aus dem Radio trällert der Dabu-Fantastic-Song «Frisch usem Ei»: «… mir sind Vögel, genau so Vögel win ihr – yeah.» Ja, fantastisch, dieses freie Vogelleben. Doch dann sehe ich Nachbars Katze angespannt vor einer Hecke lauern …

«Vögel leben hochgefährlich», schreibt der in Wien lebende deutsche Ornithologe Walter A. Sontag (69) in seinem neuen Buch. «Ungefähr jeder achte dem Nest entflogene Star überlebt das erste Lebensjahr, und die wenigsten beginnen eine Brut.» Für andere Vögel von Starengrösse sehe die Ziffer ähnlich aus. «Der Tod lauert überall.»

Doch Sontag – Schüler des renommierten Schweizer Tierforschers und Zoodirektors Heini Hediger (1908–1992) – macht keinen Abgesang auf unsere gefiederten Freunde. Ganz im Gegenteil: «Das wilde Leben der Vögel» ist ein Hohelied auf die Vielfalt der weltweit über 10'000 Arten. «Sämtliche nur denkbaren Varianten sind möglich zwischen Schlichtheit und farbenprächtiger Extravaganz, zwischen Tarnung und auffälligem Gehabe.» Sogar Türkentauben finden im Buch eine kurze Erwähnung.

Für den Laien ist immer wieder erstaunlich, dass es trotz engem Zusammenleben verschiedener Vogelarten zu keinen Kreuzungen kommt wie etwa bei Esel und Pferd, woraus dann ein Maultier bzw. Maulesel resultiert. Sontag dazu: «Mögen Amsel, Habicht, Kauz und Star in noch so enger Nachbarschaft leben – sie erfahren dieselbe Aussenwelt auf völlig unterschiedliche Weise.»

Jede Art ist primär auf sich fokussiert. Sontag konkretisiert das mit dem Beispiel des Sommergoldhähnchens: Spielt man einem Männchen den Balzgesang einer nahe verwandten Art vor, ignoriert es den schlicht, geht aber in den Angriffsmodus über, sobald ein vermeintlicher Rivale der eigenen Art aus dem Lautsprecher ertönt. Und bei den Weibchen beschleunigt sich der Herzschlag nur beim Vorspielen artgemässer Melodien.

Sollte das Desinteresse nicht reichen, so habe das Vogelreich ein ganzes Arsenal von Kreuzungsbarrieren, so Sontag. Wenn die Embryonen nicht schon im Ei absterben, sei die Überlebenschance der Bastarde gering, und wenn sie doch gross werden, so seien die herangewachsenen Hybride unfruchtbar.

Ohne Nachwuchs bleiben aber auch immer mehr artreine Feld- und Wiesenvögel, was dem Ornithologen Sontag grösste Sorge bereitet. Und er benennt zum Schluss die Schuldige: «Es ist leider wahr: Heute muss die Agrarindustrie als Todfeind der Vogelwelt gelten.» Denn einst habe der Bauernstand mit der Natur gearbeitet, heute wirke er auf der Mehrheit der Flächen gegen sie. Doch noch ein Abgesang.

Walter A. Sontag, «Das wilde Leben der Vögel – von Nachtschwärmern, Kuckuckskindern und leidenschaftlichen Sängern», C. H. Beck

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