Die Antwort kommt schnell und bestimmt: «Wegen der Gorillas!» Die Menschenaffen sind der Grund dafür, dass Werner und Monique Braunwalder – Rentner in Allwetter-Jacken – ganz vorn in der Schlange stehen.
Es ist früh um 7 Uhr, in einer Stunde öffnet der Zürcher Zoo endlich wieder, nach fast drei langen Monaten Kontaktverbot für Mensch und Tier. Besitzer von Dauerkarten wie Braunwalders – sie sind aus dem Zürcher Oberland angereist – gewährt der Zoo eine Stunde früher Einlass als dem Rest.
An diesem Samstag macht dies Lichtjahre aus, denn es gilt, Neuland zu entdecken: Wie sieht eine 56 Millionen Franken teure Savanne aus? Exotisch. Kann Tier Mensch überhaupt noch riechen? Unklar. Wurden die Pommes teurer? Nein.
Ende der Schlange ausser Sicht
5800 Besucher dürfen unter Corona-Bedingungen gleichzeitig in den Zoo. Mit jedem Tram wächst die Schlange hinter Braunwalders an, 200 Meter, 300 Meter, irgendwann ist das Ende ausser Sicht. Je weiter hinten, desto lockerer wird die Zwei-Meter-Regel gehandhabt. Monique Braunwalder beschäftigt etwas anderes. «Wird uns das Gorilla-Männchen wieder nur seinen Silberrücken entgegenstrecken?», fragt sie ihren Mann.
7.50 Uhr. Malia, Livio (4) und ihre Mütter überholen die Wartenden. Familien dürfen ein paar Minuten früher rein. Die Kinder können ihr Glück kaum fassen und traben eilig Richtung Savanne.
8 Uhr. Während am Eingang das Tor zur Seite geschoben wird, wartet N’Gola im Affenhaus auf das Unvermeidliche: Der Mensch wird kommen. Das Silberrückenmännchen hat sich strategisch platziert. Mit dem Rücken zur Wand, seinen Harem und die Glasscheibe im Blick, präsentiert er seine imponierenden Muskeln.
Affen freuen sich an Besuchern
Da betritt Monique Braunwalder das Affenhaus, nimmt die Orang-Utans kaum wahr, marschiert wie ferngesteuert auf die Gorillas zu. Sie nähert sich dem Panzerglas. Und tatsächlich: N’Gola reibt sich die Augen. Weiter zeigt das Männchen keine Regung, beobachtet einfach. Ein Patriarch muss schliesslich die Nerven behalten. Anders seine Weibchen, die nun aufgeregt durch das Gehege toben. «Peng!» Manchmal schleudert eine Affendame ein Seil an die Scheibe, dass es knallt.
Werner Braunwalder setzt sich auf einen Baumstamm vor dem Glas. Affendame Mary greift sich einen Zweig und hält ihn dem Mann hin. Direkt an die Scheibe, ein erstes schüchternes Anbandeln, doch der Mann reagiert nicht. Nun packt sie einen Stock und pocht damit sanft gegen das Glas. Endlich streckt auch der Mensch seinen Arm aus. Mensch und Tier berühren einander. Eine Szene wie von Michelangelo. Gott erweckt mit ausgestrecktem Zeigefinger Adam zum Leben.
«Berührender» Augenblick
«Fragt sich, wer hier der Affe ist, wir oder sie?», meint Monique Braunwalder. Sie hat sich zurückgehalten, ihren Mann den Moment geniessen lassen. Gleich werden die vielen anderen Besucher eintreffen. Es dauert ein wenig, bis Werner Braunwalder so richtig begreift, dass dieser Augenblick gerade einzigartig war. Sein leiser Kommentar: «Berührend.»
N’Gola, der Silberrücken, gibt sich nun keine Mühe mehr mit Imponiergehabe. Die Anspannung ist weg. Er schmatzt gelangweilt, ab und zu gähnt er und zeigt wie zufällig seine Zähne. Klar, wer hier das Sagen hat. Nun, da die Basis gelegt ist, wird Mary mutiger. Die Affendame hält zuerst die Hände an die Scheibe und verteilt später sogar Küsse. Zuerst nur an Kinder, dann auch an Frauen, die Männer gehen leer aus. «Jöö», machen die Besucher, die alle irgendwie lächeln und viel zu nahe beisammen stehen. Etwas abseits bleibt das Ehepaar Braunwalder länger als sonst im Affenhaus sitzen. Sie wollen noch nicht weg.
Eine andere Welt auf dem Zürichberg
Kaum zu glauben, dass diese Savanne auf dem Zürichberg liegt. Es ist eine andere Welt, mit Affenbrotbäumen (unecht) und Felsbrocken (auch Spritzbeton) sowie einem Zeltdorf und dem Buschflugplatz samt Propellerflugzeug. Die meisten Besucher eilen hierher: zu Giraffen, Zebras, Nashörnern, Antilopen, Straussenvögeln und Hyänen.
Kinder drängen sich am Zaun, rufen und winken den Giraffen, die tatsächlich bis auf wenige Meter herankommen. Wieder ein erstes Kennenlernen. «Da lohnt sich der Morgenstress», sagt eine Mutter, die um 6.30 Uhr Tagwache hatte. Dann, völlig unerwartet, werden die anmutigen Tiere jäh von einer Horde Nashörner verscheucht, die in der riesigen Savanne eine lockere Runde drehen. «Ohhhh!!», staunen die Besucher, die kreuz und quer und in Gruppen stehen.
Dort, wo der Zoo die Menschenströme steuern kann, etwa an Eingängen oder Kassen, tut er das. Den Rest überlässt er der Eigenverantwortung der Besucher. Findet jedenfalls eine Seniorin, die ihre Hygienemaske hängen lässt, um mit den Graupapageien zu trillern. «Um Leute herum ziehe ich die Maske wieder hoch», versichert sie. Die Dame pfeift, die Vögel in der Voliere geben pfiffig Antwort. Und weils so schön ist, hängt die Dame gleich noch eine Melodie an.