Shaban Qorri (71) aus Reutigen BE ist überglücklich. Seit 42 Jahren lebt der Kosovare, der vor seiner Pensionierung einen Lebensmittelladen führte, in der Schweiz. «Jetzt kann ich endlich in meine Heimat zurückkehren», sagt der Rentner. «Ich werde gleich meinen Sohn anrufen und ihm davon erzählen.»
Die frohe Nachricht, die Qorri seiner Familie im Kosovo überbringt: Heute hat der Nationalrat entschieden, dass die Schweiz künftig wieder AHV- und IV-Renten in den Kosovo auszahlen wird. Die Grundlage dafür ist ein neues Sozialversicherungs-Abkommen zwischen der Schweiz und Kosovo. Es wurde mit 110 zu 58 Stimmen bei 2 Enthaltungen durchgewunken.
«Ich bin sehr froh, dass der Nationalrat das Abkommen in dieser Deutlichkeit angenommen hat», sagt SP-Nationalrätin Barbara Gysi. Dies sei ein «ein extrem wichtiger Moment für die kosovarische Diaspora». «Endlich ist wieder Gerechtigkeit hergestellt und die Kosovaren, die hier gearbeitet haben, können jetzt unbesorgt in ihrer Heimat den Lebensabend verbringen.»
SVP war dagegen
Gegen das Abkommen hat einzig die SVP gestimmt. Sie war nur bereit Ja zu sagen, wenn der Vertrag dem fakultativen Referendum unterstellt wird. «Der Kosovo bleibt ein fragiler Staat», sagte der Neuenburger SVP-Nationalrat Raymond Clottu. Das begünstige Korruption. «Bildungs- und Sozialsysteme sind in einem bedauernswerten Zustand. Wie wollen Sie in einer solchen Situation sagen, dass eine enge Zusammenarbeit mit den Behörden möglich ist? Wir haben hier allergrösste Zweifel.»
Eine Mehrheit des Nationalrats hatte dies allerdings nicht und stimmte gegen den Antrag der SVP. Der Ständerat hat bereits vergangenen Frühling grünes Licht gegeben. Im Gegensatz zum Nationalrat will er aber ein Referendum ermöglichen.
Wegen dieser Differenz geht das Abkommen in den nächsten Tagen nun noch einmal in die Kleine Kammer. Es ist gut möglich, dass sie angesichts des eindeutigen Resultats im Nationalrat auf dessen Linie einschwenken wird. Und ab nächstem Jahr wieder Renten in den Kosovo fliessen werden.
«Viele Kosovaren werden zurückkehren»
«Die Verwaltung muss jetzt alles daran setzen, dass das Abkommen auf 1. Januar in Kraft gesetzt wird», sagt SP-Parlamentarierin Gysi. «Für die Betroffenen zählt jeder Monat.»
Das sieht auch Osman Osmani von der Gewerkschaft Unia so. Er selbst stammt aus dem Kosovo und steht mit vielen Betroffenen in Kontakt. Er ist überzeugt, dass das Abkommen auch im Interesse der Schweiz ist. «Viele Kosovaren werden deswegen in ihre Heimat zurückkehren», sagt er.
Grund zu jubeln gibt es aus Sicht der Unia aber noch nicht. «Wir kämpfen weiter», sagt Osmani – dafür, dass die Schweiz nicht nur zukünftig, sondern auch rückwirkend die Renten zahlt. «Diese Leute haben schon genug erlitten. Es darf nicht sein, dass man ihnen vorenthält, was ihnen zusteht.»
Abkommen enthält Missbrauchs-Klausel
Der Kosovo ist das einzige Land des ehemaligen Jugoslawiens, in das derzeit keine AHV- und IV-Renten ausbezahlt werden. 2010 hatte die Schweiz die bestehende Vereinbarung mit dem Kosovo gekündigt – unter anderem deshalb, weil Sozialdetektive, die Rentenbetrügern auf der Spur waren, mit dem Tod bedroht worden waren.
Für die Kosovaren hatte die Kündigung schwere finanzielle Konsequenzen, wie BLICK berichtete. Wer seit 2010 pensioniert wurde, muss sich entscheiden: Entweder er bleibt in der Schweiz und bekommt die Rente. Oder aber er kehrt in die Heimat zurück und erhält kein Geld – obwohl er Sozialversicherungsbeiträge gezahlt und deshalb eigentlich Anspruch auf eine Rente hat.
Inzwischen hat sich die Situation im Kosovo aus Sicht des Bundes entscheidend verbessert. Er hatte in einem Pilotversuch die Zusammenarbeit mit den kosovarischen Behörden getestet. Zudem enthält das neue Abkommen eine Klausel, in dem sich die Schweiz wie auch der Kosovo verpflichten, Missbrauch und Betrug zu bekämpfen.