«Wann? Wann bekomme ich endlich das Geld, auf das ich ein Anrecht habe?» Ramush Azemi (69) stellt sich diese Frage oft. Der pensionierte Gleisbauer lebt in Mogillë, einem Dörfchen im Südosten Kosovos, gleich hinter der neu gebauten Moschee, von deren Minarett an diesem Abend gerade der Ruf des Muezzins aus den Lautsprechern scheppert.
Der Kosovo ist Azemis Heimat. Sein zweites Zuhause aber, das sei die Schweiz. Knapp 20 Jahre, bis Mitte der 90er-Jahre, lebte und arbeitete der inzwischen verwitwete Mann als Saisonnier in Graubünden und verlegte Gleise für die Rhätische Bahn. Mit seinem Lohn ernährte Azemi die Familie daheim. «Für meinen Job habe ich alles gegeben», beteuert er. «Bis auf eine einzige Ausnahme habe ich nie bei der Arbeit gefehlt.»
Wer zurückkehrt, bekommt keine Rente
Umso schwerer wiegt die Enttäuschung heute. Denn obwohl Azemi jahrelang AHV-Beiträge zahlte, hat er keinen Anspruch auf eine Schweizer Rente. Das Abkommen, das eine Auszahlung von AHV und IV an Kosovo-Rückkehrer ermöglicht, hat die Schweiz 2010 gekündigt (siehe Box). In alle anderen Staaten Ex-Jugoslawiens fliessen weiterhin Schweizer Renten.
Kosovaren, die nach dem 1. April 2010 pensioniert wurden, mussten sich entscheiden: Entweder sie bleiben auch nach der Pensionierung in der Schweiz und erhalten die Rente. Oder sie kehren in ihre Heimat zurück - und bekommen nichts. Die einzige Möglichkeit, die für Kosovo-Rentner derzeit besteht, ist die Rückerstattung der einbezahlten Sozialversicherungsbeiträge. Damit fahren sie mittel- und langfristig allerdings deutlich schlechter als mit einer monatlichen Rente.
Nun muss das Parlament entscheiden
Jahrelang hat die kosovarische Diaspora mit Unterstützung der Gewerkschaften für ein neues Abkommen gekämpft. Heute nun geht es um alles: Nach dem Ständerat muss auch der Nationalrat grünes Licht für die zwischen dem Kosovo und der Schweiz neu ausgehandelte Vereinbarung geben. Nur wenn er dem Abkommen zustimmt, kann es in Kraft treten.
Kosovaren wie Ramush Azemi zittern dem Entscheid des Schweizer Parlaments daher entgegen. Die Ausgleichskasse, die für die Auszahlung der Renten ins Ausland zuständig ist, rechnet damit, dass bei einem Ja zum Abkommen etwa 10'000 Kosovo-Rückkehrer ihre Rente einfordern werden. Der Bund schätzt die zusätzlichen AHV-Ausgaben auf etwa 15 Millionen pro Jahr. Dazu kommt eine Million für die IV.
«Ich habe genug vom Ausland»
Aber auch für die Kosovaren in der Schweiz hängt viel vom Entscheid ab. Sie, die nun im Pensionsalter sind, bilden die erste Generation von Kosovo-Migranten. Sie waren in die Schweiz gekommen, um hier Arbeit zu finden. Viele von ihnen liessen ihre Familie in der Heimat und wollten zurückkehren, sobald es die finanzielle Situation zulässt – spätestens mit der Pensionierung. Mit dem Stopp der Rentenzahlungen in den Kosovo wurden diese Pläne durchkreuzt.
Und so leben einige Rentner noch immer hier, obwohl sie eigentlich längst hätten zurückkehren wollen. So zum Beispiel Shaban Qorri (71), der mit Frau, Sohn und Schwiegertochter sowie vier Enkeln im ersten Stock eines Mehrfamilienhauses in Reutigen im Berner Oberland wohnt. «Ich habe genug vom Ausland», sagt Qorri, während auf der anderen Strassenseite ein Mähdrescher seine Bahnen zieht.
Qorri hat über die Hälfte seines Lebens in der Schweiz verbracht. Erst arbeitete er als Maurer auf dem Bau, später - nach einem Bandscheibenvorfall - führte er mit seiner Frau Ava (66) einen kleinen Lebensmittelladen in Frutigen BE. «Wir haben ein schönes Leben hier», betont Qorri. «Aber der Kosovo, das ist meine Heimat.»
150 Franken Lohn müssen reichen
Ihre Heimat bedeutet den Kosovaren viel - mehr, als sie in Worte fassen können. Sehr deutlich werden die Betroffenen derweil, geht es um die Schweizer Behörden. «Ich bin wütend», sagt Djuzide Gavazaj (83) aus Zhur, einem Dorf im Südwesten Kosovos, leise, aber bestimmt. «Wir wollen doch nur, was uns zusteht.»
Die gesundheitlich angeschlagene Frau hätte seit acht Jahren Anspruch auf monatlich 579 Franken Witwenrente, weil ihr verstorbener Mann 17 Jahre in der Schweiz als Maurer gearbeitet hatte. Wegen des fehlenden Abkommens müssen sie und ihr Sohn, der in einer Bäckerei arbeitet, nun mit dessen Monatslohn von 150 Franken durchkommen.
«Das ist eine grosse Ungerechtigkeit»
Wütend ist auch Gavazajs Landsmann Ali Aliu (66). Der ehemalige Fassadenbauer, der bis vor einigen Jahren im Kanton Zürich lebte, wohnt heute mit seiner Familie im Dörfchen Blaq im gebirgigen Süden Kosovos. «Meine Freunde, die in Italien, Deutschland oder einem anderen europäischen Staat arbeiteten, bekommen alle ihre Rente im Kosovo. Aber ich, der 35 Jahre in der Schweiz gearbeitet hat, bekomme nichts», sagt er verbittert. «Das ist eine grosse Ungerechtigkeit.»
Enttäuscht sind die Betroffenen auch, weil ein Abkommen nun zwar auf dem Tisch liegt - dieses aber nur künftige Renten betrifft. Die Leistungen, welche die kosovarischen Rentner in den vergangenen knapp zehn Jahren zugute gehabt hätten, sollen nicht rückerstattet werden. Genau das fordern aber die Kosovo-Rückkehrer und mit ihnen die Gewerkschaft Unia.
Schliesslich geht es für die Rentner um viel - im Falle der 83-jährigen Witwe Djuzide Gavazaj sind es beispielsweise über 50'000 Franken, auf die sie in den letzten acht Jahren Anspruch gehabt hätte. Eine enorme Summe für die Frau, die erzählt, dass sie von Bekannten Geld leihen musste, um eine Augenoperation zu bezahlen. «Man darf uns diese Jahre nicht wegnehmen», fleht Gavazaj. «Ist es nicht schon genug, dass mir mein Mann genommen wurde?»
Die Empörung unter den Kosovaren war gross, als der Bundesrat vor zehn Jahren beschloss, das Sozialversicherungsabkommen, das noch aus jugoslawischer Zeit stammte, auf den 1. April 2010 auslaufen zu lassen. Ein Grund dafür war, dass Sozialdetektive, die im Kosovo Betrügern auf den Fersen waren, mit dem Tod bedroht wurden. Zudem funktionierte laut Bund die Verwaltung im Kosovo nur mangelhaft und die Zusammenarbeit mit den Behörden war schwierig.
Inzwischen hat sich die Situation aus Sicht des Bundes «entscheidend» verbessert. Er führte ein Pilotprojekt durch, um die Kooperation zu testen. Aufgrund des positiven Ergebnisses wurden 2017 Verhandlungen für ein neues Abkommen aufgenommen. Fast genau vor einem Jahr erfolgte dann die Unterzeichnung in Pristina.
Bevor das Abkommen in Kraft treten kann, müssen noch die Parlamente beider Länder zustimmen. Im Kosovo war der Entscheid vergangenen Herbst eine Formsache. Nun warten die Kosovaren auf die Zustimmung aus Bern. Es steht noch zur Debatte, ob das Abkommen dem fakultativen Referendum unterstellt werden soll oder nicht. Wird das Abkommen ratifiziert, werden wahrscheinlich im Verlauf des nächsten Jahres erstmals wieder AHV- und IV-Renten in den Kosovo fliessen. Unter Umständen könnte es sogar noch dieses Jahr so weit sein.
Die Empörung unter den Kosovaren war gross, als der Bundesrat vor zehn Jahren beschloss, das Sozialversicherungsabkommen, das noch aus jugoslawischer Zeit stammte, auf den 1. April 2010 auslaufen zu lassen. Ein Grund dafür war, dass Sozialdetektive, die im Kosovo Betrügern auf den Fersen waren, mit dem Tod bedroht wurden. Zudem funktionierte laut Bund die Verwaltung im Kosovo nur mangelhaft und die Zusammenarbeit mit den Behörden war schwierig.
Inzwischen hat sich die Situation aus Sicht des Bundes «entscheidend» verbessert. Er führte ein Pilotprojekt durch, um die Kooperation zu testen. Aufgrund des positiven Ergebnisses wurden 2017 Verhandlungen für ein neues Abkommen aufgenommen. Fast genau vor einem Jahr erfolgte dann die Unterzeichnung in Pristina.
Bevor das Abkommen in Kraft treten kann, müssen noch die Parlamente beider Länder zustimmen. Im Kosovo war der Entscheid vergangenen Herbst eine Formsache. Nun warten die Kosovaren auf die Zustimmung aus Bern. Es steht noch zur Debatte, ob das Abkommen dem fakultativen Referendum unterstellt werden soll oder nicht. Wird das Abkommen ratifiziert, werden wahrscheinlich im Verlauf des nächsten Jahres erstmals wieder AHV- und IV-Renten in den Kosovo fliessen. Unter Umständen könnte es sogar noch dieses Jahr so weit sein.