«Ich weiss, was es heisst zu kämpfen»
Islam Alijaj (32) will trotz Behinderung in den Nationalrat

Trotz seiner Zerebralparese, wegen der seine motorischen Fähigkeiten eingeschränkt sind, will Islam Alijaj (32) in den Nationalrat. Widerstände trieben und treiben den Zürcher SP-ler nur noch mehr an.
Publiziert: 16.10.2018 um 12:47 Uhr
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Aktualisiert: 29.10.2018 um 21:36 Uhr
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Islam Aljaji (32) will im Oktober 2019 für die Zürcher SP in den Nationalrat. Trotz seiner Behinderung.
Foto: zVg
Jan Krumnacker

Islam Alijaj (32) lässt sich nicht aufhalten. Seit Geburt leidet er an einer Zerebralparese, einer Hirnschädigung, die dazu führt, dass Betroffene nur wenig Kontrolle über ihre Muskeln und ihre Bewegungen haben. Als Kind konnte er deswegen nicht selbständig gehen und kaum sprechen. «Ich war damals ständig auf fremde Hilfe angewiesen», sagt er zu BLICK.

Seine Chancen, jemals alleine zu laufen, sich mit Worten verständigen zu können oder gar einer geregelten Arbeit nachzugehen, seien sehr klein gewesen, sagt der 32-Jährige heute. Die ganze Schulzeit verbrachte er in Spezialeinrichtungen, von seinen Lehrern wurde er wegen seiner Behinderung immer wieder unterschätzt. Trotzdem liess er sich nicht unterkriegen.

«Der Wunsch, auch mit meinem Handicap ein normales Leben zu führen, war riesengross», erklärt er. Dank seinem Ehrgeiz und Durchhaltevermögen hat er das mittlerweile geschafft, auch wenn ihm das Sprechen immer noch grosse Mühe macht. Heute ist der im Kosovo geborene Schweizer eidgenössisch diplomierter Kaufmann und ausgebildeter Webprogrammierer. Und im nächsten Jahr will der Vater von zwei Kindern für die Zürcher SP in den Nationalrat.

Traum vom Studium

Auf kleinerer Bühne ist er aber schon länger politisch tätig. Den Ausschlag dafür gab ein Erlebnis aus dem Frühjahr 2008. «Nachdem ich meine kaufmännische Ausbildung abgeschlossen hatte, wollte ich eigentlich ein Studium anfangen», erzählt Alijaj. Bei seinem Chefausbildner im Betrieb stiess er mit seinen Plänen aber auf zähen Widerstand.

«Er versuchte wiederholt, mich davon zu überzeugen, dass eine geschützte Arbeitsstelle und eine IV-Rente das Beste für mich seien.» Was der Zürcher damals noch nicht wusste: Der Betrieb erhielt für jeden besetzten Arbeitsplatz jährlich eine mittlere fünfstellige Summe von der IV.

«Behinderte werden wie Milchkühe behandelt»

Ein komplett falscher Anreiz, findet Alijaj. «Wir Menschen mit Behinderung werden in unserem System nicht als mündige Personen, sondern eher wie Milchkühe behandelt: Je mehr man von uns ‹im Stall› hat, desto mehr Geld bekommt man», sagt er. Um das zu ändern, gab er den Traum vom Studium auf und begann, sich mit aller Energie für eine Schweiz zu engagieren, in der Behinderte ihr Leben selbständig und selbstverantwortlich leben können.

«Dafür braucht es aber grundlegende Veränderungen im Sozialsystem», meint der 32-Jährige. Im Moment würden Behinderte in die Rolle der «Schwachen» gedrängt, die auf Unterstützung von den «Gesunden» und Leistungsfähigen angewiesen seien. «Das stimmt aber nicht. Behinderte sind nicht schwach. Sie haben ein riesiges Potenzial, das sie heute nicht in die Gesellschaft einbringen können.»

Aus diesem Grundgedanken entstand der Verein «Tatkraft – Die Personenbotschafter», den Alijaj gemeinsam mit einer Gruppe Gleichgesinnter gründete. Ein Kernteam des Vereins soll in Zukunft Behinderte bei der Organisation und der Finanzierung ihrer Projekte zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft unterstützen. Um die nötigen Mittel für den Aufbau der Geschäftsstelle zu generieren, starten Alijaj und seine Mitstreiter am Montag ein Crowdfunding.

«Ich weiss, was es heisst zu kämpfen»

Der Weg zum Nationalratsmandat bleibt für Islam Alijaj aber noch weit und steinig, das weiss er. «Der Wahlkampf wird schwierig. Und das nicht nur wegen meines Vornamens.» Vor allem seine Schwierigkeiten beim Sprechen machen es ihm nicht leicht, die Leute von sich zu überzeugen.

Einige wird er aber auch mit den besten Argumenten nicht für sich gewinnen können, weiss er. «Für manche bin ich in erster Linie ein armer Behinderter, der nichts zustande bringt. Aber das ist deren Problem. Ich weiss, was es heisst zu kämpfen. Und ich will anderen zeigen, dass alles möglich ist.» 

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