Sie kamen in den Neunzigerjahren, auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung in ihrem Heimatland: die Kosovaren. Lange galten sie als die unbeliebten «Shipis», die Machos, Radaumacher. Heute sind die meisten bestens integriert, arbeiten als Zahnärzte, Softwareentwickler oder Polizisten. Manche schiessen sogar Tore für die Schweizer Nati.
Rund 200'000 Kosovaren leben hier, viele längst mit Schweizer Pass: Musterbeispiele für gelungene Integration. Und jetzt das: Der Bund will sie zur Auswanderung in den Kosovo bewegen. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) finanziert ein gross angelegtes Filmprojekt von albinfo.ch, einer albanisch-schweizerischen Newsplattform.
158'000 Franken steuert Bern für die Produktion von acht Dokumentarfilmen für das öffentlich-rechtliche Fernsehen im Kosovo bei: Erfolgsgeschichten von Schweiz-Kosovaren, die für immer in ihr Heimatland zurückgekehrt sind. Das SEM formuliert es so: «Die Filme sollen die positiven Aspekte einer Rückkehr nach Hause vermitteln.» Kurz gesagt: Schafft euch auf dem Balkan eine neue Existenz.
Filme entsprechen nicht Realität im Kosovo
Da ist etwa ein Porträt von Fatmire Maliqi (56), Mutter von fünf Kindern. Sie kehrte freiwillig in den Kosovo zurück und sagt: «Es spielt keine Rolle, wo du bist, egal, in welchem Land, an einem anderen Ort bleibst du immer Mieterin, während du in deinem eigenen Land bei dir zu Hause bist.» Oder Jetmir Halimi (27). Trotz rotem Pass verliess er die Schweiz nach 27 Jahren freiwillig und baute im Kosovo ein Onlinestart-up auf: «In der Schweiz war ich ein Kosovare, der in der Schweiz lebte.»
Der hohe Lebensstandard habe ihm nicht gereicht, um sich langfristig in Frieden mit sich selbst zu fühlen. Was die Filme verschweigen: die Realität im Kosovo.
Korruption lähmt das Land, jeder Dritte hat keinen Job, unter Jugendlichen gar mehr als jeder Zweite. 30 Prozent der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze, das Gesundheitssystem liegt am Boden.
Die Filme über einige wenige privilegierte Auswanderer muten da mehr als beschönigend an.
Und: Sie zielen direkt auf jene Kosovaren, die von der Schweiz ihr Leben lang zur Integration angehalten wurden.
Nur 123 Asylgesuche aus dem Kosovo
Das SEM redet sich heraus: Das Projekt habe nicht in erster Linie zum Ziel, dass Schweiz-Kosovaren zurückkehrten, so Sprecherin Emmanuelle Jaquet von Sury, sie räumt aber gleichzeitig ein: «Die Filme können eine gewisse freiwillige Rückkehr zur Folge haben.»
Dem Bund gehe es laut von Sury vielmehr darum, das Entwicklungspotenzial des Kosovos aufzuzeigen und dass eine Zukunft dort durchaus möglich sei. Dies helfe zudem, die «irreguläre Migration» aus dem Kosovo einzudämmen.
Allerdings ist die Zahl der Asylgesuche von Kosovaren in der Schweiz auf einem historischen Tiefststand: 2018 ersuchten gerade mal 123 Personen um ein Bleiberecht – die meisten ohne eine Chance.
Die Filme stossen denn auch weit herum auf Skepsis. Laut Muriel Trummer von Amnesty International birgt eine Übersiedlung Risiken. So können Kosovaren ohne Schweizer Pass, die versuchen, ihren Lebensmittelpunkt in ihre alte Heimat zu verlegen, ihren Aufenthaltsstatus in der Schweiz verlieren. Scheitert der Aufbau einer neuen Existenz, gibt es für sie kein Zurück.
Peter Meier von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe geht noch weiter: «Der Nutzen solcher Projekte ist äusserst fraglich.» Ein Einfluss auf die Migration sei nicht nachweisbar. «Es wäre sinnvoller, das Geld in Projekte zu investieren, mit denen die Bedingungen vor Ort nachhaltig verbessert werden.»
Dass die vom Bund finanzierten Filme viele Kosovaren zum Auswandern motivieren, glaubt auch Hamit Zeqiri nicht. Der Schweiz-kosovarische Integrationsfachmann sagt: «Die meisten gehen zwar gerne für einige Wochen in ihr Heimatland in die Ferien. Ihr Lebensmittelpunkt ist und bleibt aber die Schweiz.»
Trotzdem gewinnt Zeqiri dem Filmprojekt positive Seiten ab: «Ich finde es gut, dass man nicht nur von den Problemen des jungen Staates redet, sondern auch von den Chancen.»
Jährlich 170 Millionen Franken für Verwandte und Bekannte
SonntagsBlick hat auch mit dem kosovarischen Präsidenten Hashim Thaci über die Rückkehr seiner Landsleute gesprochen. Dieser sagt: «Die Kosovaren haben in der Schweiz viel gelernt. Deshalb ist es sehr gut, wenn unser Land von diesen Erfahrungen profitieren kann.»
Die Rückkehrer gründeten KMU und schafften damit Arbeitsplätze. Thaci: «Sie bringen grosse Dynamik und Energie in den Kosovo – das ist gut.»
Gleichzeitig freue es ihn, dass seine Landsleute in der Schweiz «bestens integriert sind». Dies mit gutem Grund: Die Kosovaren in der Schweiz sind für das junge Land auf dem Balkan überlebenswichtig. Sie überweisen jährlich rund 170 Millionen Franken an Verwandte und Bekannte. Aus
keinem anderen Land fliesst so viel Geld in den Kosovo.