Nach Studie über Missbrauchsfälle
Warum zahlen wir eigentlich Kirchensteuern?

Der Missbrauchs-Skandal in der katholischen Kirche erschüttert die Schweiz. Viele sind überzeugt: Damit sich etwas ändert, braucht es Druck von aussen. So könnten Kirchensteuern an Bedingungen geknüpft werden. Wie aber funktioniert die Kirchenfinanzierung überhaupt?
Publiziert: 14.09.2023 um 00:02 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2023 um 06:38 Uhr
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Foto: keystone-sda.ch

Wer muss überhaupt Kirchensteuern zahlen?

In den meisten Kantonen sind Kirchensteuern für all jene obligatorisch, die Mitglied in einer vom Kanton anerkannten Kirche sind. Meist sind das die römisch-katholische und die evangelisch-reformierte Kirche.

Aber wie könnte es in der Schweiz auch anders sein: Es ist von Kanton zu Kanton verschieden. Die Kantone Neuenburg und Genf erheben gar keine Kirchensteuern. In der Waadt werden die Aufgaben der Kirche durch Staatsbeiträge finanziert. Wieder andere Kantone wie Zürich, Luzern oder Solothurn erheben auch für die christkatholische Kirche Kirchensteuern. Mitglieder der israelitischen Kultusgemeinde müssen in Basel-Stadt, Freiburg und St. Gallen Kirchensteuern bezahlen. Nicht anerkannte Religionsgemeinschaften unterstehen dagegen dem Privatrecht und finanzieren sich über Mitgliederbeiträge.

Wie viel Kirchensteuer muss ich bezahlen?

Jetzt wird es so richtig kompliziert. Denn natürlich macht es auch hier jeder Kanton wieder anders. Ja es gibt sogar innerhalb eines Kantons je nach Kirche andere Berechnungssysteme. 

Generelle Aussagen zur Höhe der Kirchensteuern lassen sich daher nicht machen. Es hängt jeweils von der Wohngemeinde ab sowie von der Religionszugehörigkeit.

Ein paar Beispiele zur Illustration: Ein verheiratetes Paar mit zwei Kindern und einem steuerbaren Einkommen von 80'000 Franken bezahlt in Zürich als Katholiken 341 Franken Kirchensteuer im Jahr. In Liestal BL hingegen wären es nur 211 Franken. In der Stadt Solothurn wiederum müsste die Familie satte 990 Franken hinblättern. In Aarau wiederum wären es 603 Franken, als Reformierte müssten sie hingegen nur 586 Franken berappen.

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Warum müssen auch Firmen Kirchensteuern zahlen?

Die Frage ist tatsächlich äusserst umstritten. In 20 von 26 Kantonen müssen auch Unternehmen Kirchensteuern bezahlen, obwohl sie keiner Kirchengemeinschaft angehören. Es kann also sein, dass ein Aktionär, der einer anderen als der im Kanton anerkannten Kirche angehört oder konfessionslos ist, indirekt Steuern an eine Religionsgemeinschaft zahlt, deren Mitglied er nicht ist.

Im Kanton Graubünden zum Beispiel wurde die 1959 eingeführte Kirchensteuer für Unternehmen mit der prekären finanziellen Lage der Landeskirchen und Kirchgemeinden begründet. Die Steuereinnahmen von natürlichen Personen vermochten den Finanzbedarf der Kirchen nicht mehr zu decken.

Doch im Unterschied zu den mehr und mehr kirchenmüden Eidgenossen können sie sich von der Kirchensteuerpflicht nicht befreien. Das Bundesgericht hat wiederholt bestätigt, dass sich Firmen nicht auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit berufen können. Sie können nicht mal entscheiden, welcher der Landeskirchen ihre Kirchensteuer zugutekommt.

Die Kirchensteuern für Unternehmen sind denn auch die meistdiskutierte Finanzierungsquelle für das kirchliche Leben. In den meisten Kantonen können die anerkannten Kirchen heute die Unternehmen besteuern. Oder sie erhalten einen Teil der Erträge aus der staatlichen Unternehmenssteuer. Auch hier ist die Ausgestaltung der Steuer sowie die Festlegung des Steuersatzes je nach Kanton sehr unterschiedlich. Der Steuerfuss kann von 3 Prozent in Sitten VS bis zu 82,5 Prozent in Altdorf UR betragen.

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Wie viel Geld kommt da zusammen?

Weder die katholische noch die reformierte Landeskirche weist sämtliche Einnahmen von Kantonen und Gemeinden aus. Nach Berechnungen der Römisch-katholischen Zentralkonferenz (RKZ) beliefen sich die Steuereinnahmen in den Jahren 2016 bis 2021 auf katholischer Seite aber im Durchschnitt auf 782 Millionen Franken pro Jahr. Bei den juristischen Personen sollen es durchschnittlich 172 Millionen gewesen sein.

Zum Vergleich: Gemäss einer Studie im Auftrag beider Landeskirchen sollen auf reformierter Seite die Steuereinnahmen im Jahr 2017 rund 630 Millionen Franken betragen haben, jene von juristischen Personen bei etwa 130 Millionen. Wegen des anhaltenden Mitgliederschwunds sinken die Einnahmen aber Jahr für Jahr.

Wie verwenden die Kirchen ihre Einnahmen?

Die Verwendungszwecke sind ganz unterschiedlich. Die Liste reicht von der Renovierung des Kirchturms bis zu Beiträgen an die Dritte Welt. Auch hier sind die Unterschiede zwischen den Kantonen gross. Während im Kanton Neuenburg die Kirchensteuer einzig zur Entlöhnung der Pfarrer verwendet wird und die Gemeinden verantwortlich sind für Betrieb und Unterhalt der kirchlichen Bauten, werden die Pfarrerlöhne im Kanton Bern über die allgemeinen Steuern finanziert. Meist aber fliessen die Gelder in die üblichen Aufgaben der Religionsgemeinschaft wie Personal- und Unterhaltskosten, Seelsorge, soziale Aufgaben, karitative Zwecke oder Beiträge an übergeordnete Kirchen.

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