Seine Stimme bebte, als Bischof Markus Büchel (74) die Medienkonferenz mit über 20 anwesenden Journalistinnen und Journalisten eröffnete. Am Dienstag liess die Universität Zürich eine in der Schweiz beispiellose Bombe platzen, die aber mit Ansage kam. Über 1000 Fälle von Missbrauch fand das Forscherteam seit den 50er-Jahren bis heute. Mittendrin: Der St. Galler Bischof Markus Büchel.
Neben der prunkvollen Kathedrale in der Stadt St. Gallen empfing der Geistliche am Mittwochvormittag die Medien in seiner Wohnung zu einem «Mediengespräch». Er ist nicht der Einzige, der die Flucht nach vorn wagt. Auch die Bischöfe von Lausanne, Genf und Freiburg kriechen zu Kreuze. Einzig der Bischof von Sitten will nichts von einer Vertuschung gewusst haben.
«Komische Küsse mit der Zunge»
In der Pilotstudie zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle innerhalb der katholischen Kirche kommt das Bistum St. Gallen, seit 2006 unter der Leitung von Büchel, nicht gut weg. Der Fokus liegt unter anderem auf dem Fall «Pfarrer Tätscheli». Der Priester soll ab den 70er-Jahren für verschiedene Missbrauchsfälle verantwortlich sein.
Den Übernamen gaben ihm damals Mädchen, die vom Geistlichen in sein Bett geholt wurden. «Kinder berichteten von ‹komischen Küssen mit der Zunge› und von Griffen unter Nachthemden beim Zubettgehen», heisst es in der Studie. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Vorwürfe verliefen im Sande
Im Jahr 2002 meldeten sich mehrere Frauen, die von «Pfarrer Tätscheli» missbraucht worden sein. Die Vorwürfe erreichten den damaligen Bischof Ivo Fürer (†92). Dieser liess diese Vorwürfe aber mehr oder weniger versanden, leitete keine Untersuchung ein und übergab später sein Amt an Büchel.
In der Folge gerieten die Vorwürfe in Vergessenheit. Besonders stossend dabei: Der Priester ist heute noch aktiv – erst im Januar dieses Jahres soll «Pfarrer Tätscheli» eine Eucharistiefeier geleitet haben. 2010 stand er gemäss Studie zudem zusammen mit Bischof Markus Büchel bei einer Messe hinter dem Altar.
Büchel gibt an, «Pfarrer Tätscheli» nicht zu kennen. Deshalb habe das Bistum auch Anzeige gegen unbekannt eingereicht. Er habe schon mit so vielen verschiedenen Priestern zusammen Messen gefeiert, dass er sich unmöglich an alle erinnern könne, sagt er gegenüber Blick.
Entschuldigung – Rücktritt kein Thema
«Ich habe einen grossen Fehler gemacht», sagte Bischof Büchel mehrmals. Er habe es unterlassen, «die Vorabklärungen durch Bischof Fürer erneut zu prüfen und anschliessend zu handeln». Dafür wolle er geradestehen, sagte der Rheintaler am Mittwochvormittag. Er ermutigt Betroffene von Missbrauch in der katholischen Kirche, sich zu melden. Mittlerweile läuft eine kirchliche Voruntersuchung.
Auf Druck von Blick sagt er: «Sollte sich nach dem Ergebnis der Voruntersuchung herausstellen, dass ein Rücktritt angebracht ist, dann werde ich zurücktreten. Das verspreche ich.»
Irritierende Aussagen
Für Stirnrunzeln sorgte derweil Vreni Peterer, die zusammen mit Büchel vor die Medien trat. Die Verantwortliche für die Selbsthilfegruppe für Menschen, die sexuelle Gewalt im kirchlichen Umfeld erlebt haben (IG-MikU), sprach ebenfalls von begangenen Fehlern seitens der Kirche, übte sich aber sogleich in Ablenkung und sieht die Kirche gleichermassen als Opfer.
Grossspurig bemitleidete sie «Geistliche, die nichts gemacht haben» und nun sehr leiden müssten. Die Hauptschuld sieht sie beim verstorbenen Ex-Bischof Ivo Fürer. «Ich bin sehr enttäuscht von ihm.»
Büchels Entschuldigung im Video
Die Medienkonferenz ist beendet
Die Medienschaffenden haben keine Fragen mehr. Die Medienkonferenz mit Bischof Büchel ist beendet, der Geistliche bedankt sich zum Schluss bei seinen Begleiterinnen und Begleiter. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Bischof rechtfertigt sich
«Wenn Sie Bischof wären, würden sie auch nicht die Dokumente des Fachgremiums durchsehen, wenn es keinen offenen Fall gibt», rechtfertigt sich Büchel gegenüber eines Journalisten der SDA. Er sei damals überzeugt gewesen, die Fälle seien abgeschlossen. Das sei im Nachhinein ein Fehler gewesen.
Dass er mit dem Priester E.M. eine Messe gefeiert hatte, ist zwar in der Studie festgehalten. Büchel kann sich aber nicht daran erinnern. In der Studie sei vieles anonymisiert worden, deswegen sei es möglich, dass der Bischof den Priester nicht kennt, oder sich nicht erinnern kann.
Es wird auf das laufende Verfahren verwiesen. «Wir bitten Sie, diese Antwort zu akzeptieren», schaltet sich die Kommunikationsbeauftragte ein.
«Laufende Untersuchung»
Gegen den in der Kritik stehenden Priester E.M. laufe eine kirchliche Voruntersuchung und eine Anzeige beim Staat. Bischof Büchel weiss offenbar aktuell selber noch nicht, wer der Priester ist.
Rücktritt bislang kein Thema
Ein Rücktritt ist für Büchel aktuell kein Thema. Er will die Voruntersuchung abwarten. Sollte sich nach dem Ergebnis ebendieser herausstellen, «dass ein Rücktritt angebracht ist, dann werde ich zurücktreten.» Auf Nachfrage von Blick sagt Büchel ernst: «Das verspreche ich.»
«Ohnmächtig in ihrer Rolle»
Die anwesende Verantwortliche für die Selbsthilfegruppe für Menschen, die sexuelle Gewalt im kirchlichen Umfeld erlebt haben (IG-MikU), Vreni Peterer, beginnt ihre Ausführungen. Sie spricht ebenfalls von Fehlern, die geschehen sind. Im gleichen Atemzug spricht sie von «Geistlichen, die nichts gemacht haben» und nun sehr darunter leiden würden.
Zum Schluss kommt sie auf die Person E.M. zu sprechen: «Der muss suspendiert werden. Das ist meine persönliche Meinung.» Es könne nicht sein, dass der in der Kritik stehende Priester in Zukunft noch eine seelsorgerische Arbeit ausüben dürfe. Über den verstorbenen Bischof Ivo Fürer und seinen Umgang mit den Meldungen damals sei sie «enttäuscht». Er sei dem Fachgremium nicht gefolgt und habe sich in Untätigkeit geübt.
Zahlen ihrer Stelle will sie nicht veröffentlichen. «Die würden dann nur so ausgelegt, wie es passt. Entweder ‹so viele › oder ‹nur so wenige›.»
«Strukturelle Sündigkeit»
Franz Kreissl, Leiter des Pastoralamts und Beauftragter von Schutz und Prävention, spricht nun zu den Medienschaffenden. Er will «eine Kultur der Achtsamkeit, bei der kein Mensch unter die Räder kommt». Seit 2017 gäbe es mit allen Berufsgruppen des Bistums Präventionskurse. «Nähe und Distanz, Übergriffigkeit» seien wichtige Themen, bei denen Sensibilisierung und Prävention sehr wichtig seien. «Präventionsarbeit ist nichts einmaliges.»
Prävention helfe, Unerhörtes hörbar zu machen. Sexualität sei in der katholischen Kirche jahrhundertelang ein Tabuthema gewesen. Niemand habe darüber gesprochen, auch nicht positiv. Wichtig sei, dass Vertrauen wieder aufgebaut werden kann. «Wir müssen aufhören die Kirche zu schützen, die Täter zu schützen.» Der «strukturellen Sündigkeit» in der Kirche müsse man sich stellen, sagt Kreissl. Von heute auf morgen gehe das aber nicht.
Weitere Opfer sollen sich melden
Nun spricht der Bischof von Neuerungen im Umgang mit Missbrauchsakten. Es könne nicht sein, dass diese systematisch verschwinden. Auch kritisiert er die Praxis, einen fehlbarern Priester nach einem Vorwurf zu versetzen, wie es in der Vergangenheit mehrfach vorgekommen ist.
Im Rahmen einer Selbstverpflichtung verspricht Büchel, dass in Zukunft keine Dokumente mehr vernichtet würden. Dies sei früher nach zehn Jahren noch Gang und Gäbe gewesen. Akteneinsicht werde zudem jederzeit gewährleistet. «Eine schonungslose Aufarbeitung der sexuellen Missbräuche» soll geschehen. Überdies ist Büchel gewillt, sich mit Betroffenen von Missbrauch bei der Kirche zu treffen und ihnen zuzuhören.
«Ich muss dazu stehen»
Bei der Aufarbeitung im Nachgang des Falles E.M. seien Fehler geschehen. Der damalige Bischof Ivo Fürer (†92) habe damals zwar «richtig gehandelt» und die Sache ernst genommen, sagt Büchel. Damals habe aber noch nicht die Pflicht bestanden, eine Voruntersuchung bis nach Rom zu eskalieren.
Als Büchel übernahm, sei der Fall abgeschlossen gewesen. «Mir wurde kein offener Fall übergeben», sagt Büchel. «Ich hätte intensiver reagieren sollen und den Fall nach Rom melden müssen», sagt Büchel. Mittlerweile läuft eine Anzeige gegen den fehlbaren Priester E.M. «Ich kann diesen Fehler nur einräumen. Es war ein Fehler und zu diesem muss ich stehen», sagt Büchel.
«Erschreckend, beschämend»
Was die Pilotstudie der Universität Zürich in nur einem Jahr zutage gefördert habe, sei «erschreckend, beschämend», sagt Büchel. Einer der Fälle aus dem Bistum St. Gallen habe sich in Lütisburg SG im «Iddaheim» zugetragen. Dort habe es zwischen 1978 und 1988 psychische, physische und sexuelle Gewalt gegeben.
Ein zweiter Fall beleuchtet den Priester E.M. «Pfarrer Tätscheli», wie er von den betroffenen und teils misshandelten Mädchen genannt wurde. Mit diesem Priester hat Markus Büchel 2010 eine Messe gehalten, worauf eine der betroffenen Frauen eine heftige, emotionale Reaktion zeigte und sich meldete.