Für den Schweizer Forschungsstandort hat das Rahmenabkommen-Aus schwere Konsequenzen. Weil der Bundesrat die Verhandlungen diesen Frühling abgebrochen hat, ist die Schweiz beim fast 100 Milliarden schweren EU-Forschungsprogramm Horizon bis auf Weiteres nur noch ein «nicht-assoziierter Drittstaat». Für Forscherinnen und Forscher bedeutet das, dass sie sich nur noch teilweise für die Fördergelder bewerben können. Und das auch nur, weil der Bund einspringt und die Kosten übernimmt.
Nun versucht die EU sogar Top-Forschende in der Schweiz abzuwerben. Wie der «Tages-Anzeiger» berichtet, haben zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Schweizer Hochschulen, die bestimmte Fördergelder beantragt hatten, diese Woche ein Mail des Europäischen Forschungsrats (ERC) bekommen.
Was EU behauptet, stimmt nicht
«Wie Sie vielleicht wissen, liegen derzeit alle Sondierungsgespräche bezüglich der Assoziierung der Schweiz an die nächste Generation der EU-Programme auf Eis», heisst es in dem Schreiben. Schweizer Hochschulen kämen darum nicht als Gasteinrichtungen für den ERC infrage. Für diejenigen, die den Antrag vor dem Ausschluss der Schweiz von Horizon gestellt haben, gebe es aber – «ausnahmsweise» – eine Lösung: Sie könnten an eine Hochschule in der EU wechseln.
Nur: Gemäss dem Bund stimmt das so nicht. Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) betont auf seiner Homepage, dass gewisse Förderbeiträge weiterhin ausbezahlt werden – trotz Rausschmiss der Schweiz aus dem Horizon-Programm. Auch die Fördergelder, für die sich die Adressaten des EU-Mails beworben haben. Statt der EU übernimmt einfach der Bund die Kosten. Insgesamt 6 Milliarden Franken sind dafür vorgesehen.
In einem Brief an die Forschenden streicht der Bund das nun nochmals hervor und widerspricht damit dem ERC. Matthias Egger, Präsident des Schweizerischen Nationalfonds, teilte das Schreiben auf Twitter. «Please stay» – «Bitte bleibt!» – twitterte er an die Adresse der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Land.
Abwanderungsgefahr sei real
Die Schweiz hofft, schon bald wieder vollwertiges Mitglied von Horizon zu werden. Die EU macht dafür nach dem Rahmenabkommen-Aus die Zahlung der zweiten Kohäsionsmilliarde zur Bedingung. Im September wird das Parlament darüber entscheiden – eine Freigabe der Gelder ist sehr wahrscheinlich.
Denn aktuell springt zwar der Bund bei der Finanzierung der Forschungs-Fördergelder ein. Doch das ist nur eine Notlösung. An vielen Programmen können sich Forschende in der Schweiz nicht mehr beteiligen. Zudem dürfen sie nur an europäischen Projekten teilnehmen, sie aber nicht leiten.
Laut Swissuniversities, der Rektorenkonferenz der Schweizer Hochschulen, ist das Risiko, dass Forscherinnen und Forscher ins Ausland abwandern, deshalb real. Und nach dem Brief der EU ist wohl noch realer. (lha)