Den Norwegern scheint es zu gefallen. Seit 1994 gehören sie zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), und noch nie waren sie mit diesem so zufrieden wie heute. Zwei von drei Norwegerinnen würden laut einer neuen Umfrage bei einer Abstimmung für den Verbleib im EWR stimmen.
Einen schwereren Stand hat der Wirtschaftsraum in der Schweiz. Seit dem Volks-Nein von 1992 wagte sich nur selten jemand daran, einen EWR-Beitritt ins Spiel zu bringen. Zu schwer wog die historische Last, obwohl der Sieg von SVP-Vordenker Christoph Blocher (80) und seinen Mitstreitern knapp ausgefallen war.
Verschiedene Vorteile
Doch nun wird der EWR wieder zum Thema. Nach dem Scheitern des Rahmenabkommens mit der EU sieht etwa der Gewerkschaftsdachverband Travailsuisse in diesem einen Ausweg aus der Sackgasse. Präsident Adrian Wüthrich (41) sagt: «Sofern der Lohnschutz garantiert ist, könnte der EWR ein guter Mittelweg sein.»
Als EWR-Mitglied hätte die Schweiz, anders als heute, vollen Zugang zum EU-Binnenmarkt. Sie müsste aber auch sozial- oder umweltpolitische Regeln übernehmen. Gewerkschafter Wüthrich sieht darin keinen Nachteil: «Die Arbeitnehmenden könnten von Verbesserungen in den Bereichen Arbeitsrecht und soziale Sicherheit profitieren», sagt er. Beim Elternurlaub oder bei der Teilzeitarbeit seien die Europäer fortschrittlicher als die Schweiz.
«Zwischenlösung» für die SP
Als Erstes wiederbelebt hatte die Beitrittsidee jüngst SP-Fraktionschef Roger Nordmann (48). In der «NZZ am Sonntag» bezeichnete er den EWR als mögliche «Zwischenlösung» vor einem EU-Beitritt. Die SP bevorzugt aber eine EU-Mitgliedschaft. Denn im EWR könnte die Schweiz wie Norwegen, Island und Liechtenstein lediglich ihre Anliegen in Brüssel deponieren – aber nicht mitbestimmen.
Auch in der politischen Mitte ist der EWR-Beitritt mehr als ein Gedankenspiel. GLP-Chef Jürg Grossen hält ihn für einen «valablen» Weg, wie er dem «Tages-Anzeiger» sagte. Und sein Parteikollege Roland Fischer (56) betont: «Wenn sich die Schweiz in den europäischen Markt integrieren will, gibt es zwei Möglichkeiten: den Beitritt zum EWR oder zur EU.»
Eine Mitgliedschaft in der EU sei derzeit nicht mehrheitsfähig. «Der EWR hingegen wäre eine technische Alternative, die es uns erlauben würde, am Binnenmarkt sowie an den europäischen Forschungsprogrammen Erasmus oder Horizon teilzunehmen.» Roland Fischer reicht deshalb am Donnerstag einen Vorstoss ein, in dem er den Bundesrat auffordert, eine EWR-Mitgliedschaft zu prüfen.
Auch bei der Mitte-Partei Thema
Dem Vernehmen nach wird auch in der Mitte-Partei ernsthaft über den EWR diskutiert. Übung darin hat die Partei: 2012 überraschte der ehemalige CVP-Präsident Christophe Darbellay (50) alle, indem er sich für einen EWR-Beitritt starkmachte. Als Bedingung sah er einzig den Rückzug des EU-Beitrittsgesuchs durch den Bundesrat. Das ist inzwischen geschehen.
Dennoch löst der EWR bis heute wenig Begeisterungsstürme aus. Das liegt auch daran, dass die beiden Stolpersteine Lohnschutz und Unionsbürgerrichtlinie (UBRL), die das Rahmenabkommen zu Fall brachten, bei einem EWR-Beitritt nicht aus dem Weg geräumt sind.
Altbekannte Hürden
Auch die anderen Nicht-EU-Länder im EWR – Norwegen, Liechtenstein und Island – müssen beim Lohnschutz und der UBRL Zugeständnisse machen. Auf Sonderregeln, wie sie der Bundesrat beim Rahmenabkommen anvisierte, müsste die Schweiz im EWR wohl verzichten, sagt Europarechtsprofessorin Christa Tobler. «Die EU würde der Schweiz nicht Ausnahmen beim Lohnschutz oder bei der Unionsbürgerrichtlinie gewähren, die sie den anderen EWR-Staaten nicht zugesteht», erklärt sie. Dennoch fahren die drei Länder, mit denen die Schweiz die Europäische Freihandelsassoziation (Efta) bildet, gut mit ihrem heutigen Status in den Beziehungen mit der EU.
Wie beim gescheiterten Rahmenabkommen müsste die Schweiz aber auch bei einem EWR-Beitritt EU-Recht, das den Binnenmarkt betrifft, dynamisch übernehmen. Die Efta-Staaten im EWR können sich zwar weigern, eine Regel zu übernehmen. «Doch in der Praxis ist das noch nie vorgekommen», sagt Christa Tobler.
Insbesondere die SVP wehrt sich seit jeher vehement gegen eine solche in ihren Augen «automatische Übernahme» von EU-Recht. Allerdings dürfte sie sich nicht gegen eine neuerliche Abstimmung über einen EWR-Beitritt verwehren. Schliesslich markierte das Nein im Dezember 1992 den Beginn ihres fulminanten Aufstiegs.