Zahlreiche öffentliche Verkehrsbetriebe haben falsch abgerechnet – der Postauto-Bschiss lässt grüssen. Deshalb müssen sich nicht nur sechs frühere Mitarbeiter des Post-Konzerns vor Gericht verantworten – darunter der einstige Postauto-Chef, Daniel Landolf (60). BLICK weiss: Es steht fest, dass Anzeigen auch gegen Verantwortliche von BLS und VBL eingereicht werden. Und mit ihnen droht einer ganzen Branche Ungemach.
Auf Druck des Kantons Bern, Mehrheitseigner der BLS, trat Ende Oktober deren Chef Bernard Guillelmon (54) zurück. Sein Unternehmen ist mehrfach aufgeflogen, weil es zu hohe Subventionen eingestrichen hat.
Für Halbtax-Herausgeberin war er ein «Vorbild»
Guillelmon hat auch die Spitze der Branchenorganistion Alliance SwissPass verlassen, die ihm auf ihrer Website überschwänglich dankt: «Merci Bernard!» Für die Organisation, die das Generalabonnement und das Halbtax herausgibt, ist Guillelmon ein «Vorbild» gewesen. Dabei stolperte Guillelmon am Schluss just darüber, dass die BLS wissentlich die Halbtax-Erlöse in Abrechnungen unterschlagen hat. Das Beispiel Guillelmon zeigt: Mit dem Problembewusstsein ist es in der öV-Branche nicht weit her.
Der Verband öffentlicher Verkehr (VöV) geht mittlerweile zwar auf Distanz zu den illegalen Praktiken bei Postauto, doch von den fehlerhaften Abrechnungen der anderen Verkehrsbetriebe distanziert er sich nicht. Im Gegenteil: Der VöV hat sogar versucht, die unlauteren Gewinne mit einem Auftragsgutachten der Rechtsgelehrten Andreas Abegg und Goran Seferovic von Anfang Juni 2018 als rechtens darzustellen. Und der VöV bestätigt, dass er ursprünglich das abtretende Vorstandsmitglied Landolf ebenfalls mit Trara verabschieden wollte. Nach Kritik vonseiten des Bundes sah man davon ab.
BLS mauert – Sommaruga für Anzeige
Für das Bundesamt für Verkehr (BAV) lässt sich nicht am Gewinnverbot im subventionierten Regionalverkehr rütteln: Zwei Mitarbeiter hatten Einblick in den teils geschwärzten Bericht des Wirtschaftsprüfers Price Waterhouse Coopers (PWC) zu den Vorgängen bei der BLS. Auch der Kanton Bern erhielt Einblick. Laut verschiedener Quellen zeigt der Bericht, dass die BLS seit 2011 falsch abrechnete. Anfänglich soll es um 100'000 Franken gegangen sein. Der Deliktbetrag stieg dann Jahr für Jahr.
Dafür sollen die Verantwortlichen vor Gericht. Laut bundesratsnahen Kreisen hat BAV-Chef Peter Füglistaler von Verkehrsministerin Simonetta Sommaruga (60) grünes Licht erhalten, um wegen der Subventions-Beschisse Anzeige einzureichen. Die fehlbaren Unternehmen sollen nicht bloss die zu viel bezogenen Steuergelder zurückzahlen, sondern wie auch Postauto mit 5 Prozent Strafzins gebüsst werden.
Beobachter gehen aber davon aus, dass sich weitere BLS-Verantwortliche unsauber verhalten haben könnten. Doch die BLS, aber angeblich auch die PWC, wehren sich gegen die Offenlegung des ungeschwärzten Berichts. Das Unternehmen versteckt sich hinter Persönlichkeits- und Datenschutz.
Die BLS verteidigt sich, die relevanten Behörden hätten ja Einsicht erhalten. «Eine Meinungsbildung ist möglich, auch mit geschwärzten Namen», so Sprecher Stefan Dauner. Um weitere allfällig fehlbare BLS-Verantwortliche dennoch dranzukriegen, dürfte Anzeige gegen unbekannt eingereicht werden.
Anzeige in Luzern
Auch in Luzern soll sich die Chefetage des Verkehrsbetriebs verantworten müssen: Die Stadt lädt für Freitag zur Vorstellung eines externen Berichts ein. Diesen hatte die Geschäftsprüfungskommission des Grossen Stadtrates (GPK) bei der Berner Kanzlei Recht & Governance in Auftrag gegeben.
Laut BLICK-Informationen fällt der über 100 Seite starke Bericht für die VBL-Führung vernichtend aus. Dieser zeige, dass über Jahre vorsätzlich und systematisch zu viel Subventionen erschlichen wurden. Es führt kein Weg daran vorbei, dass sich auch VBL-Direktor Norbert Schmassmann (64) vor Gericht rechtfertigen muss. Hat Luzerns Stadtregierung den Mut selbst nicht, CVP-Politiker Schmassmann vor Gericht zu bringen, wird der Verkehrsverbund Luzern oder das BAV strafrechtliche Schritte einleiten: Das Amt prüfe «abhängig vom Inhalt des Berichts» eine Klage, bestätigt ein BAV-Sprecher.
Derweil hält der VBL-Verwaltungsrat daran fest, «dass sich keine Personen von VBL bereichert und alle Verantwortlichen immer nach Treu und Glauben gehandelt haben». Zudem komme ein strafrechtliches Kurzgutachten von über 40 Seiten zum Schluss, dass sich die VBL-Verantwortlichen nicht strafbar gemacht hätten. Man habe auch Zweifel, ob die Rückforderung der rund 16 Millionen Franken an zu viel bezahlten Subventionen überhaupt rechtens und ob sie nicht verjährt seien. Wie BLICK publik machte, hatte man die Subventionsaffäre in Luzern erst unter dem Deckel halten wollen. Für den Fall einer Strafanzeige sichert man nun aber volle Transparenz zu.
Eine Branche im Zwielicht
Nicht nur, dass der frühere Postauto-Chef Landolf und der abgetretene BLS-Chef Guillelmon wichtige Vorstandsmitglieder des VöV waren. Schmassmann präsidierte den Verband bis Ende August gar. Damit laufen Branchenverband alle Fäden im Subventionssumpf zusammen. Wenn dereinst die beschuldigten Ex-Mitarbeiter von Post und Postauto sowie Verantwortliche von BLS und VBL verurteilt wären, müsste auch der Verband über die Bücher. Er habe aber noch immer nicht gemerkt, was es geschlagen hat, monieren Beobachter. Noch geniesse der öffentliche Verkehr viel Goodwill. Wenn die Branche aber keine Konsequenzen ziehe, fehle die Bereitschaft der Politik bald, stets Geld zu sprechen, wenn der ÖV wiedermal die hole Hand mache.
Bis zu einer allfälligen Verurteilung gilt für die früheren und amtierenden Verantwortlichen der genannten Verkehrsbetriebe die Unschuldsvermutung. Der VöV antwortete nicht direkt auf alle BLICK-Fragen, sondern machte klar, dass man nicht die Geschäftsführung von ÖV-Betrieben bewerte. Alliance SwissPass betont, dass man Guillelmon nur in seiner Rolle bei der Branchenorganisation als «Vorbild» sehe.