Der Post-Hauptsitz in Bern.
Foto: Thomas Meier

BLICK enthüllt: Der gelbe Riese hörte alles mit
Post spionierte Mitarbeiter aus!

Die Schweizerische Post hat ihre Angestellten bespitzelt. Einer davon ist der ehemalige Teamleiter Hans Tanner. BLICK-Recherchen zeigen nun erstmals, wie der gelbe Riese vorgegangen ist.
Publiziert: 04.07.2019 um 23:31 Uhr
|
Aktualisiert: 18.11.2020 um 07:33 Uhr
1/7
Hat den Skandal aufgedeckt: Der ehemalige Post-Mitarbeiter Hans Tanner.
Foto: Philippe Rossier
Pascal Tischhauser und Sven Zaugg

Die Post hat ihre Mitarbeiter ausgehorcht und Telefone abgehört. Zwei Mitarbeiter des Staatsunternehmens standen gestern dafür vor dem Kantonsgericht Schaffhausen. Bis in die Geschäftsleitung hinein wusste man von den Vorgängen.

Erinnerungen an den Postauto-Bschiss werden wach: Noch zu Zeiten, als Susanne Ruoff (61) die Geschicke des Staatsunternehmens lenkte, lief der grösste Subventionsskandal der Schweizer Geschichte. Über 200 Millionen Franken zu viel zog die Postauto-Sparte dem Staat beim regionalen Personenverkehr aus der Tasche. Ruoff, weitere Topmanager und zwei Verwaltungsräte nahmen danach den Hut. Es läuft ein Verwaltungsstrafverfahren.

Israelische Software installiert

Dass sich die Gerichte aber bereits jetzt mit Post-Mitarbeitern beschäftigen, das nahm 2011 seinen Anfang. Denn da führte der gelbe Riese eine Computersoftware der israelischen Firma Nice ein, dank der Kundengespräche einfach aufgezeichnet werden können. Wir kennen das: Ruft man beim Kundendienst einer Firma an, werden wir freundlich informiert, dass das Gespräch «zwecks Qualitätsverbesserung» aufgezeichnet werden könne. So weit, so gut. Auch bei der Post sollte das so sein.

Doch die Software hörte nicht nur bei jedem vierten Kundengespräch mit, sondern auch, wenn die Post-Mitarbeiter andere Telefongespräche führten. Beispielsweise, wenn sich beim damaligen Teamleiter Hans Tanner (50) ein Mitarbeiter krank meldete. Nach Auffassung der Schaffhauser Staatsanwaltschaft war dies «illegal». Tanners Vorgesetzte hätten laut den Justizbehörden mehrfach «ein fremdes nicht öffentliches Gespräch ohne die Einwilligung aller daran Beteiligten auf einen Tonträger aufgenommen, ausgewertet und Dritten zugänglich gemacht».

Post-Spitze räumte unerlaubte Aufzeichnung ein

Dennoch sprach das Gericht gestern die zwei beschuldigten Post-Mitarbeiter frei. Die Einzelrichterin erklärte, Tanner habe gewusst, dass die Gespräche aufgezeichnet werden könnten. Er habe «stillschweigend zugestimmt». Dabei war Tanner alles andere als still. Er hat sich nachweislich mehrfach über die Praxis beschwert. Nun prüft er, das Urteil anzufechten und die Klagen auf weitere Kader auszuweiten. Für ihn ist klar: «Die haben nicht nur mich bespitzelt.»

Genau das sah man sogar in der Post-Spitze so: Zahlreiche Unterlagen, die BLICK vorliegen, zeigen, dass man sich bei der Post bewusst war, unerlaubt gehandelt zu haben. Nach einer Untersuchung der Vorfälle schreibt die Post-Konzernleitung in einem Brief vom 8. Oktober 2013 an Tanner: «Nach Vorliegen der Ergebnisse der Untersuchung wurden die nötigen Massnahmen getroffen. Die entsprechenden Systeme wurden komplett neu aufgesetzt, damit keine unerlaubten Aufzeichnungen von Gesprächen mehr erfolgen.» Gemäss dem Schreiben entschuldigte sich die Post für den «zu Beginn nicht optimalen Verlauf der Angelegenheit».

Und in einer Aktennotiz vom 6. Dezember 2012 anlässlich einer Befragung Tanners hielt die Post zudem fest, dass die Richtlinie – also welche Gespräche aufgezeichnet werden dürfen – unklar formuliert sei und auf alle Fälle überarbeitet werden müsse. In der Aktennotiz steht weiter: «Gespräche von Teamleitenden werden bis auf weiteres keine mehr aufgenommen. Bereits aufgenommene Gespräche von Teamleitenden werden nicht ausgewertet.» Das entspricht nicht der Wahrheit: BLICK liegt ein Dokument vor, das zeigt, dass Tanner auch 2013 weiter bespitzelt wurde.

Arztgespräch an Schulung abgespielt

Intern aufgeflogen war der grosse Lauschangriff auf die kleinen Postangestellten bei einer Schulung im Januar 2012 in Freiburg. Wahllos zupfte das Kader dort Aufzeichnungen heraus, um die Qualität zu beurteilen. Darunter war just auch ein persönliches Gespräch mit einem Arzt.

In den Post-Callcentern waren damals private Gespräche untersagt. Handys ebenfalls. Aber natürlich bestätigt man am Arbeitsplatz mal einen Arzttermin oder nimmt einen Anruf entgegen, weil die Tochter frühzeitig vom Hort abgeholt werden muss. Dies und Gespräche zwischen Teamleitern wurden von der Post aufgezeichnet.

Die Gesprächsaufnahme sorgte bei der Schulung für Kritik. «Man erklärte uns, dass die Aufzeichnungen und Auswertungen der Telefonate mit Zustimmung des Rechtsdiensts der Post erfolgten», sagt Tanner. «Alle Teamleiter hätten dem stillschweigend zugestimmt, teilte man uns mit.» Klar ist heute: Post-Angestellte, die über die Hotline Telefonate von Kunden entgegennahmen, hatten laut Post schriftlich eingewilligt, dass «Telefongespräche zur Leistungskontrolle oder aus Sicherheitsgründen aufgezeichnet werden können.» Nicht aber die Teamleiter, so Tanner.

Er telefonierte am 5. November 2012 beruflich mit einer Berner Arbeitskollegin, wobei er sich kritisch über eine neue Software für den Kundendienst äusserte. Mehr nicht. Das reichte, um den Ostschweizer einen Monat später nach Bern zu laden. Er wurde auf den Inhalt des Telefonats angesprochen. Noch bevor die Berner Post-Kader das etwa zehnminütige Gespräch abspielen konnten, machte Tanner sie auf die Illegalität der Aufnahme aufmerksam.

Maulkorb abgelehnt

Es folgte ein langes Hin und Her. Erst als der Thurgauer mit Klage drohte, gab man klein bei – oder tat zumindest so – und versprach abermals, die Überwachung der Angestellten einzustellen. Tanner aber traute der Post nicht mehr. Er erstattete Strafanzeige gegen eine ganze Reihe Vorgesetzter, die er aus taktischen Gründen sogleich sistierte. Er wollte Druck ausüben, hoffte aber insgeheim, dass die Post ihren Fehler einsehen und das Ausspionieren unterlassen würde.

Aber es kam noch schlechter: Man drohte Tanner mit Versetzung, legte ihm einen Wechsel zu einem anderem Unternehmen nahe. Am 1. August 2013 stellte ihn die Post frei. Später wollte ihm der gelbe Riese sogar einen Maulkorb verpassen. In einer Vereinbarung hält die Post fest, dass Tanner die Strafanzeigen «vorbehaltlos und unwiderruflich» zurückziehen müsse und auf weitere Strafanzeigen verzichte. Tanner musste sich zu «absolutem Stillschweigen über allfällige Verfehlungen im Zusammenhang mit der Telefonie im Kundendienst Post» verpflichten. Daraufhin hob Tanner die Sistierung der Anzeige auf.

Post betont, man halte sich an Gesetze

Auf Anfrage von BLICK hält die Post nun fest, die Software werde seit 2017 nicht mehr eingesetzt. «Neu übernehmen die Kunden die Bewertung der Post-Mitarbeitenden», schreibt Sprecherin Masha Foursova.

Und die Post räumt ein: «Dass der ausgehende Anruf aufgezeichnet wurde, entsprach nicht dem Willen der Post.» Deshalb habe man dann die Informationspraxis revidiert und die Angelegenheit vom Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten prüfen lassen. Dieser habe das System für gut befunden. Die Post weist den Vorwurf, die Angestellten bespitzelt zu haben, von sich. «Es gab keinen Post-Lauschangriff», man halte sich an die Gesetze.

Gar nicht «nice»

Nice wurde 1986 von ehemaligen israelischen Soldaten gegründet. Das Unternehmen mit Sitz in Ra'anana konzentrierte sich zunächst auf die Entwicklung von Überwachungssoftware zur militärischen Abwehr. Heute dominiert die Firma mit ihren Computerprogrammen, dank denen Kundengespräche einfach aufgezeichnet werden können, den Callcenter-Markt. In den vergangenen Jahren sorgte Nice aber auch für negative Schlagzeilen. Computerspezialisten warnten 2014 vor Sicherheitslücken in den Produkten des Unternehmens. Sie wiesen darauf hin, dass Schwachstellen in der Software umfassende Zugriffe durch Unbefugte auf mitgeschnittene Telefonate und sogar die Manipulation des gesamten Systems ermöglichen.

Nice wurde 1986 von ehemaligen israelischen Soldaten gegründet. Das Unternehmen mit Sitz in Ra'anana konzentrierte sich zunächst auf die Entwicklung von Überwachungssoftware zur militärischen Abwehr. Heute dominiert die Firma mit ihren Computerprogrammen, dank denen Kundengespräche einfach aufgezeichnet werden können, den Callcenter-Markt. In den vergangenen Jahren sorgte Nice aber auch für negative Schlagzeilen. Computerspezialisten warnten 2014 vor Sicherheitslücken in den Produkten des Unternehmens. Sie wiesen darauf hin, dass Schwachstellen in der Software umfassende Zugriffe durch Unbefugte auf mitgeschnittene Telefonate und sogar die Manipulation des gesamten Systems ermöglichen.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?