Nach Niederlagen in Zürich und Waadt
Kann die SP ihren Sinkflug in Bern stoppen?

Bleibt der Kanton Bern bürgerlich regiert? Bei den kantonalen Wahlen hat Links-Grün intakte Chancen, nach sechs Jahren wieder die Mehrheit zu holen. Insbesondere für die SP steht viel auf dem Spiel.
Publiziert: 22.03.2022 um 17:56 Uhr
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Mitte-Finanzdirektorin Beatrice Simon tritt nach zwölf Jahren aus der Berner Kantonsregierung zurück.
Foto: Keystone
Gianna Blum

Linker als die Stadt Bern wird es in der Deutschschweiz eigentlich nicht. SP und Grüne dominieren die Bundesstadt. Um so bürgerlicher ist aber der Rest des Kantons, wo die SVP traditionell staatstragend ist und die Bürgerlichen seit 2016 in der Regierung in der Mehrheit sind.

Doch auch diese Bastion wollen Linke und Grüne nun erobern. Schaffen soll das SP-Mann Erich Fehr (53), mit dem die Partei den Sitz der zurücktretenden Finanzdirektorin Beatrice Simon (61, Mitte) angreift. Fehr ist seit über zehn Jahren Stadtpräsident von Biel und damit im Kanton bekannt. Ein Vorteil, den seine Mitte-Konkurrentin Astrid Bärtschi (48) nicht hat, denn die ehemalige BDP-Generalsekretärin ist ein eher unbeschriebenes Blatt. Die Wahl ist damit auch ein Lackmustest für die Mitte, die seit der BDP-CVP-Heirat zum ersten Mal im Kanton antritt.

SP zielt auf Übermacht

Ein Sieg wäre für die SP ein Coup. Wird Fehr gewählt, würde die Partei gemeinsam mit den Bisherigen Evi Allemann (43) und Christoph Ammann (52) drei der sieben Sitze stellen – und könnte die Bürgerlichen gemeinsam mit der bisherigen Erziehungsdirektorin Christine Häsler (60, Grüne) entmachten.

Was die SP-Chancen allerdings schmälert, ist, dass Bärtschi auf einem bürgerlichen Ticket gemeinsam mit den bisherigen Philippe Müller (58, FDP), Pierre Alain Schnegg (59, SVP) und Christoph Neuhaus (55, SVP) antritt. Dass bürgerliche Wähler sie zugunsten eines SP-Mannes verschmähen, ist unwahrscheinlich. Dazu kommt: Frühere linke Mehrheiten kamen oft via Jura-Sitz zustande. Dort sitzt der Bernjurassier Schnegg aber fest im Sattel.

Ebenfalls gegen einen Sieg Fehrs spricht das mangelnde Interesse der Stimmbevölkerung. Am Dienstag teilte die Stadt Bern mit, dass die Wahlbeteiligung fünf Tage vor Termin einen Prozentpunkt tiefer liegt als noch vor vier Jahren. Das dürfte eher den Bürgerlichen in die Hände spielen.

Nägelkauende SP

Während in der Regierung die bürgerliche Mehrheit zumindest wackelt, dürfte diese im Parlament kaum zu brechen sein. Wenn es zu Verschiebungen kommt, dann wohl eher innerhalb der Lager. Besonders in der SP dürften die Fingernägel vor Spannung blutig gekaut sein. Denn in den regionalen Wahlen sind die Sozialdemokraten zurzeit im Sinkflug. Typisch die Waadtländer Wahlen von letztem Wochenende: Während die SP fünf Sitze verlor, legten die Grünen vier zu. Bei den Stadtzürcher Wahlen kamen der SP sogar sechs Sitze abhanden.

Es deutet wenig darauf hin, dass das in Bern anders kommt. Die grüne Welle von 2019 mag zwar etwas abgeflacht sein, der Kanton Bern hat allerdings gewissermassen Nachholbedarf, da es seither keine Parlamentswahlen gab. Spannend wird auch die Rolle der GLP sein, die in fast allen bisherigen Wahlen deutlich zugelegt hat.

Wellen bis ins Bundeshaus

Unter ferner liefen treten die Corona-Skeptiker mit der Sammelpartei «Aufrecht» an. Die Kandidaten haben verschiedenste politische Profile von ganz links bis ganz rechts, ein Parteiprogramm gibt es mangels Gemeinsamkeiten nicht. Ernsthafte Chancen kann sich niemand ausrechnen – viel mehr dürfte es ein Experiment im Hinblick auf die nationalen Wahlen sein.

Die nationalen Wahlen im Blick haben wird auch die SP. Weitere Sitzverluste wären ein denkbar schlechtes Omen für 2023. Umso mehr dürfte die Partei eine Wahl von Fehr feiern. Misslingt auch dieser Angriff, könnte das bis ins Bundeshaus Wellen werfen. Denn dann dürfte nicht nur der zweite FDP-Bundesratssitz infrage gestellt werden, sondern auch jener der Genossen.

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