Lieber Gewinne als Versorgungssicherheit
Strom-Kantone bremsen Sommaruga aus

Der Schweiz geht der Saft aus. Schuld sind die Besitzer der Stromkonzerne: Die Kantone kümmert Versorgungssicherheit nicht – sie wollen Gewinne.
Publiziert: 19.02.2022 um 19:58 Uhr
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Aktualisiert: 21.02.2022 um 09:30 Uhr
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Der Ausbau der Erneuerbaren in der Schweiz stockt.
Foto: Keystone
Danny Schlumpf

Die Eidgenossenschaft braucht mehr Strom – und der muss grün sein. Doch der Ausbau von erneuerbaren Energien stockt: Die Wasserkraft ist ausgeschöpft, Wind und Sonne decken heute gerade einmal sechs Prozent des Bedarfs. So kann die Schweiz die AKW-Lücke unmöglich stopfen. Es droht ein Blackout.

Am Donnerstag machte Umweltministerin Simonetta Sommaruga den Ernst der Lage klar, als sie die Einrichtung einer Wasserkraftreserve und den Bau von Gaskraftwerken für den Notfall ankündigte.

Das Problem: Zwar investieren die hiesigen Stromkonzerne kräftig in die Erneuerbaren, bloss tun sie das vor allem in Spanien, Italien oder der Nordsee. Ob dieser Strom auch in die Schweiz fliesst, entscheidet im Zweifelsfall aber die EU – der ebenfalls der Saft ausgeht.

Dabei seien die Energieunternehmen gesetzlich verpflichtet, die einheimische Stromversorgung sicherzustellen, sagt Bundesrätin Sommaruga. Davon könne keine Rede sein, kontern die Konzerne. Mehr noch: Als Unternehmen seien sie auf Gewinne angewiesen, Wind- und Solarprojekte aber rentierten in der Schweiz nicht. Deshalb fordern Axpo und Co. vom Bund, zuerst die Rahmenbedingungen zu verbessern.

Profit hat Priorität – das Geld fliesst

Staat gegen Marktwirtschaft also? Nicht ganz. In der Schweiz gibt es mehr als 700 Elektrizitätsunternehmen – die meisten gehören Gemeinden und Kantonen. Letztere beherrschen auch die grossen Konzerne: Axpo ist vollständig im Besitz der Nordostschweizer Kantone. Der Kanton Bern dominiert mit einem Anteil von 52 Prozent die BKW. Und die Westschweizer Kantone sind an Alpiq beteiligt.

Sie alle wollen vor allem eins: Gewinne einstreichen. Und die fliessen reichlich, wenn der Laden läuft. So spült die BKW der Berner Finanzdirektorin Beatrice Simon jährlich bis zu 40 Millionen Franken in die Kasse. Die Nordostschweizer Kantone mussten in den letzten Jahren zwar auf eine Axpo-Dividende verzichten. Doch 2021 schüttete der Konzern wieder 80 Millionen Franken an sie aus; allein Zürich erhielt 15 Millionen. Noch mehr kassierte dieser Kanton von den eigenen Elektrizitätswerken EKZ: 30 Millionen. 2018 schrieb Finanzdirektor Ernst Stocker dem Unternehmen Gewinne sogar ins Pflichtenheft.

Profit hat Priorität – noch vor dem Ausbau der Erneuerbaren im Inland. «Aktuell sind viele Investitionen in erneuerbare Energieproduktion defizitär», heisst es beim Kanton Zürich. «Als Eigner will der Kanton nicht, dass Axpo und EKZ in defizitäre Projekte investieren.»

Die Geschäftsleitungen der Stromkonzerne folgen also lediglich den Vorgaben ihrer Besitzer, wenn sie aus wirtschaftlichen Gründen im Ausland investieren. Und sie werden dafür gut entlöhnt: BKW-Chefin Suzanne Thoma verdient über zwei Millionen im Jahr – mehr als die gesamte Regierung des Kantons Bern.

Bergkantone fühlen sich benachteiligt

Mit dem Streit um die Versorgungssicherheit zwischen den Konzernen und Bundesrätin Sommaruga hingegen wollen die Kantone nichts zu tun haben. So sagt der Kanton Bern: «Der Bund und seine Organisationen sind im direkten Zusammenspiel mit der Energiewirtschaft für die Versorgungssicherheit zuständig, nicht die Kantone.»

Von einem Konflikt zwischen Staat und Marktwirtschaft könne keine Rede sein, sagt Energieexperte Patrick Dümmler von Avenir Suisse. «Da kämpft der Staat gegen den Staat.» Und manchmal bekämpfen sich die Kantone sogar gegenseitig. «Wir haben die Kavallerie nach Zürich geschickt», verkündete der Bündner Energiedirektor Mario Cavigelli diese Woche im Kantonsparlament. Dort befürchtet man nämlich eine feindliche Übernahme des heimischen Stromunternehmens Repower durch die Unterländer: Die Zürcher erhöhten ihre Anteile in den letzten Jahren auf 34 Prozent. Graubünden besitzt 22 Prozent.

Überhaupt fühlen sich die Bergkantone benachteiligt: Drei von vier Schweizer Wasserkraftwerken stehen im Gebirge, aber die meisten werden von Konzernen im Mittelland betrieben – von deren Steuern, Löhnen und Gewinnen haben die Bergler kaum etwas. Doch nun schlagen sie zurück: Die Konzessionen vieler Werke laufen nach einem halben Jahrhundert aus – und die Bergkantone können sie billig zurückkaufen.

So will Graubünden seine Anteile an den heimischen Wasserkraftwerken von heute 20 auf 80 Prozent steigern. «Wir holen die Wertschöpfung nach Graubünden zurück», sagt Regierungsrat Cavigelli. Die Unterländer hätten wenig Freude daran. «Aber es geht um die bessere Nutzung einer unserer wenigen Ressourcen, um Geld und Arbeitsplätze.»

«Die Kantone haben es in der Hand»

Und was sagt Cavigelli als Präsident der kantonalen Energiedirektoren zum Streit um die Versorgungssicherheit? «Dafür sind in der Tat die Energieunternehmen verantwortlich. Und die Kantone als Eigner können darauf auch Einfluss nehmen.» So verlange Graubünden von Repower inländische Investitionen in die Erneuerbaren und einen Beitrag zur Versorgungssicherheit. So steht es in der Eignerstrategie. Cavigelli sagt aber auch: «Die Investitionen der Kantone gehören der Bevölkerung. Deshalb ist es richtig, dass sie auch etwas abwerfen.»

Patrick Dümmler von Avenir Suisse entgegnet: «Wenn die Energieunternehmen Gewinnvorgaben erhalten und inländische Projekte nicht rentieren, investieren sie weiter im Ausland.»

Deshalb macht jetzt auch die Energieministerin Druck: «Der Bundesrat hat mit seiner Vorlage zur Stromversorgungssicherheit und der Beschleunigungsvorlage Investitionssicherheit geschaffen», wie Sommarugas Energiedepartement gegenüber SonntagsBlick feststellt. «Nun ist es an den Eignern, dafür zu sorgen, dass die entsprechenden Investitionen auch tatsächlich ausgelöst werden.» Denn eine sichere Versorgung mit Strom sei von grösster Bedeutung für das Land: «Dies sollte bei den Eignerstrategien berücksichtigt werden.»

Die Kantone hätten es in der Hand, betont auch Felix Nipkow von der Schweizerischen Energie-Stiftung: «Sie können die Renditeziele senken und die Versorgungsaufträge stärken. Und sie müssen den Bund bei der Gestaltung besserer Rahmenbedingungen aktiv unterstützen. Dann haben sie am Schluss beides – Sicherheit und Gewinne.»

«Zusammen bringen diese Schritte unser Land weiter»
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Energieministerin Sommaruga:«Zusammen bringen diese Schritte unser Land weiter»
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