Wäre es nach den Schweizerinnen gegangen, hätte die Vorlage zur Erhöhung des Frauenrentenalters vergangenen Sonntag Schiffbruch erlitten: 63 Prozent von ihnen lehnten die AHV-Reform laut der Nachwahlbefragung von Tamedia ab. Umso lauter werden nun die Forderungen nach echter Gleichstellung. Bereits einen Tag nach der Abstimmung versammelten sich Hunderte Frauen in Bern, um ihren Frust und ihre Forderungen kundzutun.
Der Aufruf zur Kundgebung habe in den sozialen Medien doppelt so viele Menschen erreicht wie andere Posts, sagt das Berner Frauenstreik-Kollektiv, das die Kundgebung organisiert hat. Ausserdem habe man im Nachgang zur Abstimmung diverse Nachrichten von Frauen erhalten, die sich für mehr Gleichstellung engagieren möchten.
Neumitglieder dank Niederlage
Auch die Eidgenössische Kommission dini Mueter, ein Zusammenschluss von Müttern und Kinderbetreuerinnen, verspürt aktuell ein erhöhtes Interesse an ihrer Arbeit. Ein neu erwachtes, feministisches Engagement nehmen auch die SP Frauen sowie die Jungsozialistinnen wahr. «Seit Sonntag haben wir zahlreiche Zuschriften erhalten von Frauen, die unserer Partei beitreten wollen», sagt SP-Frauen-Zentralsekretärin Gina La Mantia. Die Juso verzeichnen seit dem Abstimmungssonntag «spürbar mehr Neumitglieder» – vor allem weibliche.
Über 150'000 Menschen haben zudem in den letzten Tagen die vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) lancierte «Erklärung vom 25.September» unterzeichnet, die bessere Einkommen für Frauen im Erwerbsleben und im Alter fordert. «Dies zeigt, dass Frauen sich nun nicht mehr abspeisen lassen wollen», sagt Gabriela Medici vom SGB, «die vielen Versprechen aus dem Abstimmungskampf müssen rasch und konkret realisiert werden.»
Nicht zuletzt könnte die aktuelle Enttäuschung vieler Frauen zu einer grossen Mobilisierung am nächsten feministischen Streik am 14. Juni 2023 führen – davon sind die Feministinnen überzeugt. Das sei auch nötig, hält das Frauenstreik-Kollektiv Graubünden fest: «Für das Erreichen konkreter Fortschritte in der Gleichstellung braucht es in der Schweiz leider immer den Druck der Strasse.»