Heftig waren die Reaktionen, nachdem Bundesrat Ueli Maurer (71) vor der lokalen SVP-Sektion in Bühler AR den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine als «Stellvertreterkrieg» bezeichnet hatte. «Beim russischen Aggressionskrieg gegen die Ukraine handelt es sich keinesfalls um einen Stellvertreterkrieg. Maurer liegt komplett falsch», kritisierte zum Beispiel SP-Nationalrat Eric Nussbaumer (62, BL) in der «Aargauer Zeitung».
Ganz so falsch liegt Maurer scheinbar aber doch nicht. Militärexperte Michel Wyss (34), der an der Militärakademie der ETH zu Stellvertreterkriegen forscht, erklärt gegenüber Blick: «Von Stellvertreterkriegen spricht man, wenn Drittparteien versuchen, den Verlauf oder Ausgang eines bewaffneten Konflikts gemäss ihren eigenen strategischen Zielen indirekt zu beeinflussen. So zum Beispiel mit Ausbildung, Geld, Waffen oder Unterstützung bei der Planung und Durchführung von Militäroperationen, allerdings ohne eigene ‹boots on the ground›.» Also ohne eigene Truppen auf fremdem Boden.
Zweifelsohne ein Stellvertreterkrieg
Dies treffe zweifelsohne auf den Krieg in der Ukraine zu. «Es ist öffentlich bekannt, dass die Ukraine neben Waffenlieferungen auch in den Bereichen Nachrichtendienst, Überwachung und Aufklärung tatkräftige Unterstützung seitens der Nato und insbesondere der Vereinigten Staaten erhält.» Genauso sei aber auch die Unterstützung der russischen Separatisten in der Ostukraine ab 2014 Stellvertreterkriegführung gewesen.
«Während des Kalten Kriegs waren Stellvertreterkriege eine Alternative zur Direktkonfrontation zwischen Gross- und oftmals auch zwischen Regionalmächten, sie sind aber auch heute weit verbreitet, siehe etwa die bewaffneten Konflikte in Syrien, Libyen und Jemen», sagt Wyss weiter.
Aber auch ein Angriffskrieg
Doch auch wenn der Begriff auf den Krieg in der Ukraine zutreffen mag, nehme das Russland nicht aus der Verantwortung. Dass sich die Nato zurzeit in einem Stellvertreterkrieg mit Moskau befinde, ändere nichts an der Tatsache, dass Russland seit dem 24. Februar einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führe, erklärt Wyss, aber: «Das Problem ist, dass der Begriff Stellvertreterkrieg in der öffentlichen Wahrnehmung oft negativ besetzt ist und nicht analytisch verwendet wird.»
Aus militärwissenschaftlicher Sicht ist die Bezeichnung also unbedenklich. Doch, ob dies politisch auch der Fall ist, bleibt fraglich. Die harsche Kritik der Parlamentarier lässt anderes vermuten. Maurer hat mit seiner Aussage sicher das Kollegialitätsprinzip strapaziert. Die offizielle Kommunikation des Bundesrats sprach bisher nie von einem «Stellvertreterkrieg».
Schweiz nicht beteiligt
Maurer nutzte die Gelegenheit nämlich auch, um anzudeuten, dass die Neutralität durch die Übernahme der Sanktionen bedroht sei: «Die Neutralität ist eine der wichtigsten Säulen unseres Landes, doch die Diskussion, ob wir an ihr festhalten oder Russland doch den Finger zeigen, wird uns weiter umtreiben», so der Bundesrat.
Teil des Stellvertreterkriegs ist die Schweiz allein wegen der Sanktionen aber nicht. «Wirtschaftliche Sanktionen allein würde ich nicht als indirekte Kriegsbeteiligung bewerten, sie ergänzen natürlich aber oftmals weitere Massnahmen», erklärt Wyss.
Maurer sagte auch, dass ein Atomkrieg in ein paar Wochen nicht auszuschliessen sei. Gemäss Wyss gäbe es bei Stellvertreterkriegen stets ein Eskalationsrisiko, dieses sei aber schwer zu quantifizieren, zumal weder die Nato noch Russland ein Interesse an einer direkten Konfrontation hätten. Eine solche könne aber dennoch nie völlig ausgeschlossen werden, sei es aufgrund gezielter Provokationen oder auch bloss einer Reihe von Missverständnissen und Fehlkalkulationen, so Wyss.