Wie viele junge Thailänderinnen hatte die 26-jährige Sumalee* kaum eine andere berufliche Chance, als sich zu prostituieren. Eine Frau erzählte ihr, eine Reise in die Schweiz organisieren zu können – inklusive Arbeitsbewilligung. Dort könne sie unter besseren Bedingungen arbeiten. Doch: Hier angekommen wird Sumalee rund um die Uhr überwacht, sexuell versklavt und zudem gezwungen, eine Schuld von 30'000 Franken abzuarbeiten. Wobei nur die Hälfte ihres Verdiensts zählt – die anderen 50 Prozent muss sie dem Besitzer des Bordells abliefern.
Sumalee ist nur ein Beispiel von vielen. Sie werden zum Anschaffen gezwungen, müssen Fingernägel für einen Hungerlohn lackieren oder unter sklavenähnlichen Verhältnissen in der Landwirtschaft, auf Baustellen oder in reichen Haushalten schuften: Die Zahl der Opfer von Menschenhandel, die in der Schweiz Hilfe suchen, ist in den vergangenen Jahren laut einer Statistik der Beratungsstellen nochmals enorm angestiegen.
Besonders Frauen betroffen
Alleine im 2023 sind 197 Opfer von Menschenhandel in der Schweiz neu identifiziert worden. Das sind elf Prozent mehr als im Vorjahr. Insgesamt berieten und begleiteten die auf Menschenhandel spezialisierten Organisationen im vergangenen Jahr 488 Betroffene.
Der Anstieg zeigt gemäss den in der Plattform «Traite» zusammengeschlossenen vier Fachorganisationen, dass der Menschenhandel in der Schweiz eine Realität sei, wie sie am internationalen Tag gegen Menschenhandel vom Dienstag mitteilten.
Bei der grossen Mehrheit der identifizierten Opfer handelt es sich um Frauen. In den letzten Jahren bestätigte sich aber auch, dass der Menschenhandel mit Männern mit einem Anteil von 23 Prozent keine Randerscheinung ist. Neben der Sensibilisierung führen die Fachstellen das auf vermehrte Kontrollen ausserhalb der Prostitution in «Männerjobs» zurück.
Arbeitskräfte ausgebeutet
Die 2023 identifizierten Opfer stammten aus 55 Ländern. Die häufigsten Herkunftsländer waren Ungarn, die Demokratische Republik Kongo, Kamerun und Somalia. Der Anteil aus afrikanischen Ländern war mit 56 Prozent am höchsten, gefolgt von Europa (17 Prozent), Lateinamerika (14 Prozent) und Asien (12 Prozent).
Die Fachstellen registrierten immer häufiger Menschenhandel zur Ausbeutung der Arbeitskraft. 2021 war dies in 33 Prozent der Fälle das Motiv, 2023 bereits in 47 Prozent. Dabei sind auch Opfer mitgezählt, die zu Diebstahl oder Drogenschmuggel gezwungen waren. Die Dunkelziffer sei allerdings gross, halten die Organisationen fest.
Immer wieder enttäuscht zeigen sich die Organisationen von den Behörden. Bei der Arbeitskraftausbeutung fehle die Strafverfolgung, kritisieren sie. Ebenso selten würden die Behörden auch den Straftatbestand des Menschenhandels verfolgen. Im Gegenteil: Oft seien es die Opfer, die ins Visier der Justiz geraten würden. Sie würden wegen illegalen Aufenthalts und fehlender Arbeitsbewilligung des Landes verwiesen.
Tatsächlich geht das Bundesamt für Polizei (Fedpol) von anderen Zahlen aus. Letztes Jahr registrierte die polizeiliche Kriminalstatistik 74 Fälle von Menschenhandel. 51 Fälle davon betrafen sexuelle Ausbeutung, in 23 ging es um die Ausbeutung einer Arbeitskraft. Nur gerade in acht Fällen wurde ein Strafurteil gefällt.
*Name geändert