Emran K.* (35) ist untergetaucht. Nachdem deutsche Behörden den verurteilten Sexualstraftäter aus Afghanistan vergangene Woche in die Schweiz abgeschoben hatten, verlor sich seine Spur. Sollte er noch immer hier sein, wäre K. ein sogenannter Sans-Papier. Jemand, der sich ohne Recht im Land aufhält – illegal sozusagen.
Wie viele Sans-Papiers in der Schweiz leben, weiss niemand. Eine Schätzung, die 2015 im Auftrag des Staatssekretariats für Migration (SEM) vorgenommen wurde, ging von 76'000 Menschen aus, die illegal im Land sind. Dafür kann es verschiedene Gründe geben:
- Sie sind illegal in die Schweiz eingereist.
- Sie sind legal eingereist, haben aber ihre Aufenthaltsbewilligung verloren – beispielsweise, weil sich der Schweizer Mann hat scheiden lassen.
- Ihr Asylgesuch wurde abgelehnt und sie sind untergetaucht, um einer Ausschaffung zu entgehen. Ein anderer Fall hier sind Asylsuchende, auf deren Gesuch nicht eingetreten wurde. Sie haben keine Aufenthaltsbewilligung, sind jedoch registriert und erhalten bis zur Rückkehr Nothilfe von 8 Franken pro Tag.
- Sie wurden als Kinder von Eltern ohne Aufenthaltserlaubnis mitgebracht oder gar in der Schweiz geboren – Minderjährige machen nach Expertenschätzungen etwa 12 Prozent der Sans-Papiers aus.
Die meisten stammen aus Südamerika
Gemäss der Studie von 2015 stammen die meisten Sans-Papiers aus Zentral- und Südamerika – Bolivien, Brasilien, Equador –, gefolgt von Osteuropäern.
Abgelehnte Asylbewerber sind in der Minderheit, sie machen nur etwa 19 Prozent der Sans-Papiers aus. Zwei Drittel reisten unregistriert oder als Touristen ein. Viele Sans-Papiers leben hier auf den ersten Blick ein normales Leben: Sie arbeiten, zum grössten Teil als Haushaltshilfen oder Pflegende in privaten Haushalten, aber auch in Gastronomie und Hotellerie, auf dem Bau oder in der Landwirtschaft. Studien kamen zum Schluss, dass wohl rund die Hälfte der externen Hausarbeit von Sans-Papiers geleistet wird.
Ein Teil von ihnen zahlt in die AHV ein, ist krankenversichert, die Kinder gehen zur Schule. Viele sind auch nur ein paar Monate hier – als Saisonarbeiter in Tourismuskantonen, auf dem Bau und in der Landwirtschaft. Es gibt aber auch Sans-Papiers, die unter sklavenähnlichen Zuständen in der Schweiz leben und arbeiten. Dass sie eigentlich gar nicht hier sein dürften, macht Opfer von Menschenhandel noch abhängiger von den Tätern.
Genf legalisierte 2400
In vielen Kantonen und Städten gibt es Beratungsstellen und Hilfsangebote für Sans-Papiers, oft ins Leben gerufen von den Landeskirchen und Jüdischen Gemeinden, aber auch Gewerkschaften und Migrantenorganisationen. Sie helfen Sans-Papiers in schwierigen Situationen und machen sich auf politischer Ebene für eine Legalisierung stark.
Und in der Tat bleiben nicht alle auf ewig Sans-Papiers: In Härtefällen oder wenn jemand schon sehr viele Jahre in der Schweiz lebt und arbeitet, kann er oder sie eine Aufenthaltsbewilligung erhalten.
Einige Kantone tun mehr: So hat Genf unter dem damaligen Staatsrat Pierre Maudet (44) im Rahmen des Projekts Papyrus 2400 Sans-Papiers «legalisiert». Diese mussten für mindestens fünf oder zehn Jahre im Kanton wohnen, finanziell unabhängig sein und durften keine kriminelle Vergangenheit oder Schulden haben.
Rückführungen sind oft schwierig
Insbesondere im Asylbereich wird aber auf Ausweisung gedrängt. So wurden gemäss Asylstatistik im vergangenen Jahr 4800 Asylbewerber in ihre Heimat oder in einen Dublin-Staat zurückgeführt oder sind selbst dorthin ausgereist.
Nicht immer ist eine Rückführung aber möglich: Seit die Taliban in Afghanistan wieder eine Schreckensherrschaft führen, schicken die Schweiz und die meisten anderen Staaten niemanden dorthin zurück. (sf)
* Name geändert