Sie werden zum Anschaffen gezwungen, müssen Fingernägel für einen Hungerlohn lackieren oder unter sklavenähnlichen Verhältnissen in reichen Haushalten schuften: Die Zahl der Opfer von Menschenhandel, die in der Schweiz Hilfe suchen, hat sich in den vergangenen zwei Jahren laut einer Statistik der Beratungsstellen verdoppelt.
Dabei stellen die Organisationen vor allem eine Zunahme von Hilfesuchenden – meist Frauen – fest, die im Ausland Opfer von Menschenhandel wurden. «Seit fünf Jahren betreuen wir mehr und mehr Frauen, die in Italien, Frankreich oder einem anderen Staat ausgebeutet wurden und in die Schweiz flüchten, um der Ausbeutung zu entkommen», sagt Doro Winkler (58) von der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ) in Zürich.
Das Ehepaar zeigte keine Reue. Vergangenen November verurteilte das Basler Strafgericht eine Frau und einen Mann unter anderem wegen Menschenhandels. Sie hatten mehrere junge Frauen aus Albanien als Hausangestellte ausgebeutet. Die Frau, die sie angezeigt hatte, hatte rund um die Uhr kochen, putzen, waschen und sich um die drei Kinder kümmern müssen – für gerade einmal 300 Franken pro Monat. Als sie sich über den Lohn beschwerte, nahm ihr das Paar den Pass ab. Auch Schläge soll es gegeben haben.
Solche Urteile sind in der Schweiz relativ selten. In den vergangenen Jahren kam es höchstens zu rund einem Dutzend Verurteilungen wegen Menschenhandels pro Jahr. Doch das heisst nicht, dass es kaum Menschenhandel in der Schweiz gibt. Besonders häufig ist Menschenhandel im Zusammenhang mit Prostitution, es werden aber auch Menschen als Hausangestellte, Köche, in Nagelstudios oder Coiffeursalons ausgebeutet. Ein weiterer Bereich ist die organisierte Bettelei.
Fepol spricht von «moderner Sklaverei»
Das Bundesamt für Polizei (Fedpol) spricht von «moderner Sklaverei». Bei Opfern wie Tätern handelt es sich meist um Ausländer. Auffallend ist laut Fedpol, dass Täterinnen und Täter oft dieselbe Herkunft haben, häufig sogar aus der gleichen Familie oder dem gleichen Dorf stammen. Die Täter seien meist männlich, mit einigen Ausnahmen: Bei Menschenhandels-Fällen mit thailändischen und nigerianischen Opfern spielten, so das Fedpol, Frauen eine führende Rolle.
Die Täterinnen und Täter zur Rechenschaft zu ziehen, ist schwierig, weil sich die Opfer häufig nicht trauen, gegen die Peiniger auszusagen. Ausserdem wissen sie oft kaum etwas über die Ausbeuter, so dass diese nicht gefasst werden können. Teilweise sind sich die Betroffenen zudem gar nicht bewusst, dass sie Opfer von Menschenhandel sind.
Das Ehepaar zeigte keine Reue. Vergangenen November verurteilte das Basler Strafgericht eine Frau und einen Mann unter anderem wegen Menschenhandels. Sie hatten mehrere junge Frauen aus Albanien als Hausangestellte ausgebeutet. Die Frau, die sie angezeigt hatte, hatte rund um die Uhr kochen, putzen, waschen und sich um die drei Kinder kümmern müssen – für gerade einmal 300 Franken pro Monat. Als sie sich über den Lohn beschwerte, nahm ihr das Paar den Pass ab. Auch Schläge soll es gegeben haben.
Solche Urteile sind in der Schweiz relativ selten. In den vergangenen Jahren kam es höchstens zu rund einem Dutzend Verurteilungen wegen Menschenhandels pro Jahr. Doch das heisst nicht, dass es kaum Menschenhandel in der Schweiz gibt. Besonders häufig ist Menschenhandel im Zusammenhang mit Prostitution, es werden aber auch Menschen als Hausangestellte, Köche, in Nagelstudios oder Coiffeursalons ausgebeutet. Ein weiterer Bereich ist die organisierte Bettelei.
Fepol spricht von «moderner Sklaverei»
Das Bundesamt für Polizei (Fedpol) spricht von «moderner Sklaverei». Bei Opfern wie Tätern handelt es sich meist um Ausländer. Auffallend ist laut Fedpol, dass Täterinnen und Täter oft dieselbe Herkunft haben, häufig sogar aus der gleichen Familie oder dem gleichen Dorf stammen. Die Täter seien meist männlich, mit einigen Ausnahmen: Bei Menschenhandels-Fällen mit thailändischen und nigerianischen Opfern spielten, so das Fedpol, Frauen eine führende Rolle.
Die Täterinnen und Täter zur Rechenschaft zu ziehen, ist schwierig, weil sich die Opfer häufig nicht trauen, gegen die Peiniger auszusagen. Ausserdem wissen sie oft kaum etwas über die Ausbeuter, so dass diese nicht gefasst werden können. Teilweise sind sich die Betroffenen zudem gar nicht bewusst, dass sie Opfer von Menschenhandel sind.
Eine solche Frau ist Lidia (22). Die Uganderin heisst eigentlich anders, zu ihrem Schutz hat Blick sie anonymisiert. Die junge Frau floh vor gut einem Jahr in die Schweiz – ein Freier in Frankreich hatte ihr ein Zugticket in die Schweiz gekauft. Sie kam ins Bundesasylzentrum in Zürich und über den Anwalt, der ihr zugeteilt wurde, zur FIZ.
Kein Unterschlupf, keine Therapie
Lidia ist zum Zeitpunkt ihrer Flucht laut ihrer Beraterin stark traumatisiert. «Sie traute sich nicht, nachts auf die Toilette zu gehen, weil sie männlichen Zentrumbewohnern begegnen könnte», erzählt diese. Ein Gesuch auf Wechsel in das spezialisierte Schutzprogramm für Opfer von Menschenhandel sei abgelehnt worden. Eine Therapie sei wegen der langen Warteliste ebenfalls nicht möglich gewesen. Gegen die Schlafstörungen und Panikattacken konnte die Uganderin einzig Tabletten nehmen.
Fachstellen kritisieren, wie der Bund mit Opfern wie Lidia umgeht. Die Kritik ist nicht neu: Ein Expertengremium des Europarats rügte die Schweiz schon vor Jahren dafür, dass Menschen, die im Ausland ausgebeutet worden sind, weniger Schutz und Unterstützung erhalten als Opfer mit Tatort Schweiz. Denn: Hätte Lidia in der Schweiz anschaffen müssen, hätte sie in der Schutzunterkunft für Opfer von Menschenhandel Unterschlupf gefunden. Zudem hätte sie Anrecht auf kostenlose Beratung. Auch eine Entschädigung und Genugtuung gibt es nur für jene, die in der Schweiz ausgebeutet wurden – nicht im Ausland.
Die Schweiz verstösst damit gegen die Konvention des Europarats gegen Menschenhandel. 2021 wurde sie zudem vom US-Aussenministerium zurückgestuft: Sie gehört nun nicht mehr zu den vorbildlichsten Ländern bei der Bekämpfung von Menschenhandel.
Die Lücke bleibt
Obwohl die Lücke längst bekannt ist, besteht sie bis heute. Ein Bericht, den die Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und -direktoren (SODK) vor einigen Jahren in Auftrag gegeben hat, kam klar zum Schluss, dass das Opferhilfegesetz angepasst werden muss. Doch die damalige Justizministerin Karin Keller-Sutter (59, FDP) setzte sich über die Empfehlung hinweg und fand: Es bestehe kein akuter Reformbedarf.
Nun aber tut sich etwas im Parlament. Die Rechtskommission des Nationalrats will die Lücke stopfen und das Gesetz so anpassen, dass auch Frauen und Männer, die im Ausland ausgebeutet wurden, Anspruch auf Hilfe haben. Im vergangenen Sommer hat sie eine entsprechende parlamentarische Initiative eingereicht, die wohl in der kommenden Frühlingssession im Nationalrat diskutiert wird. Sie hat reelle Chancen, angenommen zu werden.
Eben erst hat der Bundesrat ausserdem einen neuen nationalen Aktionsplan gegen Menschenhandel verabschiedet – den dritten seiner Art. Auch er sieht Massnahmen vor, um Menschen wie Lidia besser zu schützen. Die Kantone sollen unter anderem die Basis für eine neue, nationale Opferhilfestelle schaffen, die auf solche Fälle spezialisiert ist.
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«Da muss unbedingt etwas passieren»
Der Vorstoss der Rechtskommission sei ein wichtiger Schritt, sagt die Zürcher SP-Nationalrätin Min Li Marti (48). «Die Beratung von Opfern von Menschenhandeln auch mit Tatort Ausland ist nicht nur aus humanitärer Sicht richtig, sie könnte auch wichtig sein, damit den Tätern der Prozess gemacht werden kann.» Opfer würden sich häufig aus Angst nicht trauen, eine Aussage zu machen. «Opfer, die Beratung und Unterstützung erhalten, sind eher bereit auszusagen.»
Doch nicht nur linke Politikerinnen und Politiker sehen dringenden Handlungsbedarf. Die heutige Situation sei unbefriedigend, sagt die Aargauer Mitte-Nationalrätin Marianne Binder-Keller (64). «Da muss unbedingt etwas passieren.» Befürworterinnen einer Änderung hoffen nun, dass nun auch mit der neuen Justizdirektorin Elisabeth Baume-Schneider (59, SP) Bewegung in die Sache kommt.
Der Umgang der Schweiz mit Opfern von Menschenhandeln stösst auf Kritik. «Aus meiner Sicht sind weiterhin dringende Verbesserungen für den Opferschutz von Personen im Asylbereich nötig», sagt SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf (54).
Problematisch ist laut Doro Winkler von der Fachstelle FIZ insbesondere, dass die Schweiz immer wieder Opfer von Menschenhandel in das Land zurückschicke, in dem sie ausgebeutet worden sind. Sie tut dies gestützt auf die Dublin-Vereinbarung, die innerhalb Europas regelt, welches Land für das Prüfen eines Asylgesuchs zuständig ist. «Die Schweiz legt diese viel strikter aus als andere Länder», so der Vorwurf Winklers. Man nehme damit die Gefahr in Kauf, dass die Opfer wieder in die Arme ihrer Peiniger liefen. Doch das
sogenannte Retrafficking muss verhindert werden, so will es die Europaratskonvention.
Wichtiger als der Schutz der Opfer?
Das Staatssekretariat für Migration (SEM) sagt dazu, dass man jedes Asylgesuch sorgfältig prüfe und in jedem Einzelfall beurteile, ob die Rückkehr in einen Dublin-Staat zulässig und zumutbar sei. Winkler hingegen sagt, dass die Schweiz gemäss ihren Erfahrungen nur selten auf eine Rückschiebung verzichte. «Das Dublin-Verfahren steht in der Schweiz über dem Schutz der Opfer.»
Eine Arbeitsgruppe bestehend aus Vertretern von Hilfsorganisationen und Behörden hat gefordert, dass der Bund zumindest dann auf die Rückschaffung verzichtet, wenn eine Person in der Schweiz ausgebeutet worden ist. Doch auch hier setzte sich der Bund damit über die Empfehlung einer Expertengruppe hinweg, die er selbst eingesetzt hatte. Man würde damit andere Asylsuchende diskriminieren, so das Argument des SEM.
Der Umgang der Schweiz mit Opfern von Menschenhandeln stösst auf Kritik. «Aus meiner Sicht sind weiterhin dringende Verbesserungen für den Opferschutz von Personen im Asylbereich nötig», sagt SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf (54).
Problematisch ist laut Doro Winkler von der Fachstelle FIZ insbesondere, dass die Schweiz immer wieder Opfer von Menschenhandel in das Land zurückschicke, in dem sie ausgebeutet worden sind. Sie tut dies gestützt auf die Dublin-Vereinbarung, die innerhalb Europas regelt, welches Land für das Prüfen eines Asylgesuchs zuständig ist. «Die Schweiz legt diese viel strikter aus als andere Länder», so der Vorwurf Winklers. Man nehme damit die Gefahr in Kauf, dass die Opfer wieder in die Arme ihrer Peiniger liefen. Doch das
sogenannte Retrafficking muss verhindert werden, so will es die Europaratskonvention.
Wichtiger als der Schutz der Opfer?
Das Staatssekretariat für Migration (SEM) sagt dazu, dass man jedes Asylgesuch sorgfältig prüfe und in jedem Einzelfall beurteile, ob die Rückkehr in einen Dublin-Staat zulässig und zumutbar sei. Winkler hingegen sagt, dass die Schweiz gemäss ihren Erfahrungen nur selten auf eine Rückschiebung verzichte. «Das Dublin-Verfahren steht in der Schweiz über dem Schutz der Opfer.»
Eine Arbeitsgruppe bestehend aus Vertretern von Hilfsorganisationen und Behörden hat gefordert, dass der Bund zumindest dann auf die Rückschaffung verzichtet, wenn eine Person in der Schweiz ausgebeutet worden ist. Doch auch hier setzte sich der Bund damit über die Empfehlung einer Expertengruppe hinweg, die er selbst eingesetzt hatte. Man würde damit andere Asylsuchende diskriminieren, so das Argument des SEM.