Mitte-Präsident Gerhard Pfister
«Ein Problem der SRG ist die fehlende Konkurrenz»

Mitte-Präsident Gerhard Pfister schaut einigermassen entspannt auf den Wahlherbst: Seine Partei steht bis jetzt gut da. Im Interview sagt er, was das für die Bundesratswahlen bedeutet. Und er äussert sich zur Halbierungs-Initiative.
Publiziert: 23.08.2023 um 17:01 Uhr
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Aktualisiert: 23.08.2023 um 19:35 Uhr
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Im Interview äussert sich Mitte-Präsident zu den anstehenden Wahlen.
Foto: Nathalie Taiana
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Pascal TischhauserStv. Politikchef

Herr Pfister, in zwei Monaten könnte es gut sein, dass Sie praktisch gleichauf sind mit der FDP. Wie feiern Sie dann?
Gerhard Pfister: Ich feiere nicht wegen anderen Parteien, ich feiere, wenn für unsere Partei das Resultat stimmt.

Aber traurig wären Sie nicht, wenn Ihre Partei die Nase vorn hätte, oder?
Ich bin erfreut, wenn unsere Wahlergebnisse so gut sind wie die Umfragen. Das sicher.

Sie sagen, mit dem Label «Die Mitte» gelinge es, neue Wähler anzusprechen. Welche?
Mit der Öffnung der Partei gelingt es uns, Menschen anzusprechen, denen eine lösungsorientierte Politik und der Zusammenhalt der Schweiz wichtig ist. Unsere Jungpartei ist vor zwei Jahren von allen Jungparteien am stärksten gewachsen. Das wirkt sich nun aus. Wir haben sehr viele Junge und sehr viele Frauen, die sich für Die Mitte engagieren.

Die Mitte tritt mit den meisten Kandidierenden an – ganze 1118. Doch nur 37 Prozent davon sind weiblich. Reicht das?
Ich freue mich, dass wir so viele Kandidierende haben und dass auf den Spitzenplätzen rund 50 Prozent Frauen sind. Die Hälfte unserer Kandidierenden, die gute Wahlchancen haben, sind somit weiblich. Das zeigt die Aufbruchstimmung in unserer Partei.

Die guten Umfragewerte für die Mitte wecken Spekulationen über einen zweiten Bundesratssitz. Sie winden sich, die Zauberformel bilde den Wählerwillen zwar nur ungenügend ab, doch es werde kein amtierender Bundesrat abgewählt. Dennoch müssten die Wahlen Konsequenzen haben. Was soll das?
Es ist die Quadratur des Kreises, ja.

Sie versuchen einfach, sich um eine Antwort zu drücken.
Nein, es ist einfach nicht so einfach. Wenn Sie es noch komplizierter haben möchten: Es gibt immer irgendeine Konstellation, bei der eine Mehrheit im Parlament nichts ändern will.

Ich hätte es lieber einfacher.
Man muss sehen, dass politische Anpassungen in der Schweiz nicht von einem Wahljahr zum anderen passieren, sondern Zeit brauchen. Aber es dämmert immer mehr Menschen, dass die bisherige Podest-Logik mit einem Siegertrio mit je zwei Bundesratssitzen und einem vierten Platz mit einem Sitz nicht mehr aufgeht.

Was wäre die Lösung?
Das wüsste ich auch gerne. Doch ich muss Sie enttäuschen. Wir müssen abwarten, wie die Wählenden die Bundesversammlung zusammensetzen. Erst in Kenntnis der tatsächlichen Resultate können wir uns Gedanken machen.

Ach, kommen Sie! Jeder Präsident, dem die Umfragen vorhersagen, er könnte die nächstgrössere Partei überholen, tut alles dafür, das zu schaffen. Und er macht sich Gedanken zum Bundesrat.
Ich begreife ja, dass Sie mir als erfahrenerer Journalist ein Rüebli vor die Nase halten wollen. Aber Sie dürfen nicht allzu enttäuscht sein, wenn ich bis zum 22. Oktober nicht reinbeisse.

Dann vielleicht in ein anderes Rüebli? Erheben Sie tatsächlich keinen Anspruch auf den Bundeskanzler?
Es braucht hier eine Person, die über ausgezeichnete Kenntnisse der Bundesverwaltung verfügt und die Abläufe in Bern sehr gut kennt. Solche Leute gibt es nicht unbegrenzt. Wie die anderen Parteien schauen auch wir in unseren Reihen, ob jemand von denen, die diese Voraussetzungen erfüllen, kandidieren möchte. 

Ihre Partei tritt im Thurgau mit elf Listen an. Hat der Wähler hier noch die Übersicht?
Die Wählerinnen und Wähler stören sich viel weniger daran als die Journalistinnen und Journalisten. Im Thurgau sind nächsten Frühling kantonale Wahlen. Das heisst, solche Kandidaturen sind auch Aufbaukandidaturen für andere Ämter. Alle Kandidierenden sind beste Botschafter und Botschafterinnen für Die Mitte und ihre lösungsorientierte Politik. Ich bin überzeugt, dass sich das Engagement dieser Kandidierenden an der Urne auszahlen wird.

Gerhard Pfister

1962 in Zug geboren, studierte Gerhard Pfister in Freiburg Literatur und Philosophie, wo er mit seiner Dissertation über den österreichischen Schriftsteller Peter Handke promovierte. Pfister wurde Präsident der Zuger CVP, 2003 wurde er in den Nationalrat gewählt. Seit 2016 präsidiert er die Mitte, die bis 2020 CVP hiess. Er ist verheiratet und lebt in Oberägeri ZG.

1962 in Zug geboren, studierte Gerhard Pfister in Freiburg Literatur und Philosophie, wo er mit seiner Dissertation über den österreichischen Schriftsteller Peter Handke promovierte. Pfister wurde Präsident der Zuger CVP, 2003 wurde er in den Nationalrat gewählt. Seit 2016 präsidiert er die Mitte, die bis 2020 CVP hiess. Er ist verheiratet und lebt in Oberägeri ZG.

Erhalten Sie keine negativen Rückmeldungen zur Listen-Flut?
Im Gegenteil, nur positive!

Seit Corona klagen viele Politiker über einen raueren Ton. Häufen sich bei Ihnen die Hassmails?
Auch bei mir haben schwierige Meldungen von Menschen zugenommen, die nicht wissen, was Anstand ist. Aber ich darf sagen, dass ich nicht so schlimme Erfahrungen machen musste wie andere. Hier profitiere ich wohl davon, dass mein Herkunftskanton klein ist und man sich noch eher kennt. Zudem beobachte ich, dass tendenziell Frauen die schlimmeren Nachrichten erhalten.

Die Schweiz steht unter Druck. Man wirft uns vor, nicht genug gegen russische Geldwäscher zu tun. Auch Sie bemängeln das. Was muss geschehen?
Der Gesamtbundesrat muss Orientierung schaffen, wie er die Schweiz positionieren will. Seine sieben Mitglieder sollen ihre unterschiedlichen Auffassungen ins Gremium einbringen. Und sie sollen um die beste Lösung ringen. Aber dann muss die Regierung eine Richtung vorgeben. Es kann nicht sein, dass man abwartet, bis der Druck aus dem Ausland so gross ist, dass wir einmal mehr nachgeben müssen.

Das macht der Bundesrat doch eigentlich immer.
Das macht es ja nicht besser! Ein Beispiel: Bundesrat Ignazio Cassis hat im letzten Herbst den Versuch gemacht, im Bundesrat über Neutralität zu sprechen. Meiner Ansicht nach wäre diese Diskussion nötig. Doch wenn man den Medienberichten glauben kann, waren die anderen Bundesratsmitglieder nicht einmal bereit, diese Debatte zu führen.

Sie persönlich wollen der Ukraine stärker helfen.
Ich war und bin der Ansicht, dass wir europäischen Ländern erlauben sollten, Waffen aus Schweizer Produktion an die Ukraine weiterzugeben. Und ich bin davon überzeugt, dass der Bundesrat das ohne neue Gesetze tun könnte. Wenn man Notrecht zur Rettung einer Grossbank anwenden kann, dann sehe ich nicht ein, warum der Bundesrat nicht seine verfassungsmässige Pflicht zur Wahrung der Landesinteressen nicht wahrnimmt in einer Situation, die wir noch nie hatten seit dem Zweiten Weltkrieg.

Unser Gesetz verbietet Waffenweitergaben an kriegsführende Länder. Daran hat sich der Bundesrat zu halten!
Der Bundesrat hat die Kompetenz, die Weitergabe von in der Schweiz gekauften Waffen und Munition zu erlauben, wenn es im Interesse der Schweiz ist. Wenn er meint, eine solche Weitergabe sei nicht im Landesinteresse, kann ich das so zur Kenntnis nehmen. Aber ich erwarte dafür vom Bundesrat eine politische Begründung. Weil der Bundesrat aber keine politische Orientierung bietet, bleibt auch das Parlament uneins. Dabei bin ich überzeugt, dass wir im Parlament eine Mehrheit für die Weitergabe von Waffen und Munition durch europäische Länder an die Ukraine hätten. Für eine Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer besteht dazu Konsens.

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Stichwort Konsens: Damit weibelt die SRG gerade wieder. Sie sind ein heftiger SRF-Kritiker. Weshalb?
Ich bin kritisch gegenüber vielen Entscheidungen der Unternehmensleitung, nicht der Arbeit der Journalistinnen und Journalisten. Ich habe immer gesagt, die Spitze der Radio- und TV-Gesellschaft müsse besser erklären, warum es einen starken Service public braucht. Und diesen braucht es aus meiner Sicht unbedingt! 

Sie sind also nach wie vor gegen die Halbierungs-Initiative?
Ja, ich lehne sie ab, weil sie zu radikal ist. Und weil die Reihenfolge die Falsche ist: Erst muss man sich darüber einigen, was die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Senders sein soll. Und dann erst kann man schauen, welche Mittel es dafür braucht. Es geht mir bei dieser Diskussion nicht darum, ob wir Politikerinnen und Politiker einverstanden sind mit der Berichterstattung der SRG. Das Gleiche gilt übrigens für die Ringier-Artikel. 

Sie haben die Idee eines zweiten Senders à la ARD und ZDF lanciert.
Ein Problem der SRG ist die fehlende Konkurrenz. Es braucht ein Gegengewicht. Mir schwebt nicht einfach ein zweites Staatsfernsehen vor, sondern zum Beispiel ein Privatsender, der Gebührengelder erhält, um auch fundierte politische Berichterstattung zu machen. Ein solcher von privaten Medienunternehmen getragener Sender hätte wie die SRG ausgewogen zu berichten, könnte aber eine andere Sicht liefern. Meines Wissens bestreitet nicht einmal die SVP, dass es einen starken Service public braucht. 

Ob das der richtige Weg ist, wo doch die Leute immer weniger fernsehen?
Das ist genau die Herausforderung. Die Menschen informieren sich heute über andere Medien anders als vor 20 Jahren. Deshalb nochmals: Es braucht einen guten Service public und eine SRG. Die Frage ist nur: welche?

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