Sie sind heiss begehrt, die 246 Sitze im National- und Ständerat. Weit über 5000 Kandidatinnen und Kandidaten dürften es zuletzt sein, die am 22. Oktober nach Bern gewählt werden wollen – ein neuer Rekord.
Die meisten steigen für die etablierten Parteien ins Rennen. Doch unter den Kandidierenden finden sich auch viele bunte Vögel. Exoten, die mit teils unterhaltsamen, aber chancenlosen Jux-Listen vor allem auch um Aufmerksamkeit buhlen.
Die Musikpartei
Zumindest für Unterhaltung wäre gesorgt. Die Aargauer Musikpartei will die Musik im Alltag stärken und dafür politisch wirken. «Bewegung und Lebensfreude sind unsere Themen», wirbt die Partei für sich. Noch aber scheint sich der Zulauf in Grenzen zu halten. Liedermacher und Reisejournalist Stephan Zurfluh ist bisher einziger Kandidat. Und er scheint ein eher einfaches Parteiprogramm zu haben: «Ich will eine Pizza und 10 Bier – bitte, bitte gönnt das mir», singt er. Ein Mann des Volks eben.
Ein C christlicher
Die CVP hat sich vom C abgewendet, weil es viele abgeschreckt haben soll. Das dürfte dem Einzelkandidaten von Christ-und-politik.ch kaum passieren. Und er schreibt gleich auf seiner Homepage, was er von der neuen Mitte-Partei hält: «Wenn wir (CVP&Schweiz) uns von Gott abwenden, hat er kein Problem damit ... aber wir bekommen früher oder später eines ...» Ob aber beten für einen Nationalratssitz im Baselbiet reicht, darf bezweifelt werden.
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PARAT - Partei für Rationale Politik
Viel scheint sich die Zuger «PARAT – Partei für Rationale Politik» bei einer Wahl in den Nationalrat nicht vorgenommen zu haben: «Wir sind der Auffassung, dass Arbeit nicht etwas grundsätzlich Positives ist und die Erhaltung von Arbeitsplätzen demzufolge kein Ziel ist», ist im Parteiprogramm zu lesen. Vielmehr sind sie für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Daneben ist die Partei gegen Videoüberwachung in der Öffentlichkeit und für die Abschaffung der Krankenkassen. Lieber soll der Staat die gesamte Gesundheitsversorgung berappen. Das erscheint zumindest konsequent.
JUTZIPhilipp.com
Er ist eine Ein-Mann-Partei und er will in Bundesbern Vollgas geben – im wahrsten Sinn des Wortes. Dafür soll der Benzinpreis runter auf einen Franken. Höchstens! Treibstoffzuschläge oder CO₂-Steuern sind für Philipp Jutzi ohnehin des Teufels. An den Klimawandel mag der Berner nicht glauben, vielmehr an freie Fahrt für freie Bürger. Deshalb: weg mit Gurt- und Helmpflicht! Auch Senioren-Fahrchecks sollen abgeschafft werden. Eigenverantwortung wird ganz grossgeschrieben. Gleichzeitig tritt Jutzi für die vollständige Liberalisierung von Cannabis ein – wenn das mal gut kommt.
Los Normalos
Was ist schon normal? Diese Frage muss sich stellen, wer seine Stimme den «Normalos» gibt, die im Kanton Bern mit einer Liste antreten. Ihr Slogan: «Endlich normale Politik»! Die drei Unternehmer, die auf der Liste stehen, verstehen darunter, stärker auf Anliegen der Bürgerinnen und Bürger einzugehen, mehr Transparenz zu schaffen und Lobbyismus einen Riegel zu schieben. Dass sie keinerlei politische Erfahrung haben, sehen sie die Los Chancen – ..., äh, Normalos dabei als Plus.
Die wütenden Arbeiterinnen
In Genf stehen acht wütende Arbeiterinnen bereit, um ihre Arbeit im Nationalrat zur Verfügung zu stellen. Jedenfalls macht das der Name ihrer Liste «travailleuses en colère» deutlich. Sie haben es offenbar auf den Sitz der Genfer Nationalrätin Stefania Prezioso (54) abgesehen. Keine war gemäss «NZZ-Ranking» 2020 so links wie sie in der grossen Kammer in Bundesbern. Nun tritt sie nicht wieder an – und die gespaltene extreme Linke in Genf ist sich uneins, wer auf sie folgen soll. Die Union Populaire, der die wütenden Frauen angehören, setzt sich für gratis Kinderkrippen, günstige ÖV-Abonnemente und bezahlbare Mieten ein.
Weniger ist mehr
Einen passenderen Namen hätte Bernhard Schmidt (58), Leiter einer Privatschule aus Dietikon ZH, für seine Liste nicht finden können: Unter «Weniger ist mehr» kandidiert nämlich nur Schmidt allein – dabei hat der Kanton 36 Sitze zugute und Schmidt hätte also 36 Namen auf seine Liste schreiben können. Aber weil weniger mehr ist, reicht es ihm wohl auch so. Interessant: Schmidt musste ja 400 Unterstützerunterschriften bringen, um zur Wahl zugelassen zu werden. Das ist ihm offensichtlich gelungen. Weniger ist mehr ist auch Schmidts politisches Credo: «Unbegrenztes Wachstum ist nicht länger die Lösung, sondern das Problem», schreibt er auf seiner Website. Statt der aktuellen «Nach-mir-die-Sintflut-Mentalität» brauche es «weitsichtiges Umdenken». Mit weniger Kandidaten zum Beispiel?