Am 22. Oktober wird das Parlament neu gewählt
Parteien setzen zum Endspurt an

In genau zwei Monaten wird ein neues Parlament gewählt. Die Parteien biegen auf die Zielgerade ein. Blick erklärt, wer dabei die Nase vorn hat und wer noch ins Stolpern geraten könnte.
Publiziert: 22.08.2023 um 00:09 Uhr
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Aktualisiert: 22.08.2023 um 14:22 Uhr
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SVP-Präsident Marco Chiesa will mit seiner Partei den 1. Platz verteidigen.
Foto: keystone-sda.ch

Wahlen sind ein Langstreckenlauf. Ist ein Urnengang durch, gehts bereits in die nächste Runde. Und wie im Sport stellt sich die Frage: Wen schickt man ins Rennen, wie teilt man seine Kräfte ein, wann attackiert man die Konkurrenz und wann leitet man den Schlussspurt ein? 

Fix ist: Am 22. Oktober entscheidet das Stimmvolk, wer es bei den eidgenössischen Wahlen als Erster und als Letzter ins Ziel schafft.

Noch bleibt den Parteien zwei Monate Zeit, um im Positionsgerangel zum Überholen anzusetzen oder eben abzufallen. Blick erklärt, wer im Schlussspurt die Nase vorn hat und wer auf den letzten Metern ins Stolpern geraten könnte.

SVP zieht allein davon

Keine andere grosse Partei stellt sich derart vehement gegen die EU und gegen die Zuwanderung. Keine andere pocht so gnadenlos auf strikte Neutralität. Niemand sonst gibt sich derart Russland-freundlich. Auch wenn die Flüchtlingsfrage den Wahlkampf nicht wie 2015 dominiert, lässt sich die eigene Basis durchaus mit den aktuell hohen Asylzahlen und der Initiative gegen eine 10-Millionen-Schweiz mobilisieren. Die SVP hat einmal mehr den passenden Laufschuh geschnürt und zieht allen anderen davon.

Helfen werden der SVP auch die Listenverbindungen mit der FDP. Zum Risikofaktor werden diejenigen mit den Corona-Skeptikern: Diese dürften die SVP das eine oder andere Wahlprozent kosten, sodass der Wahlsieg weniger deutlich ausfallen wird als erhofft. Am 26. August heizt sie ihrer Basis mit einem grossen Wahlfest in der Zürcher Swiss Life Arena ein.

Klar ist: Die SVP verteidigt den 1999 erstmals eroberten 1. Platz weiterhin und kommt auch diesmal mit grossem Abstand als Erste ins Ziel.

SP erhöht ihr Lauftempo

Vor vier Jahren schwemmte eine grüne Welle die Genossinnen und Genossen ins Jammertal. Die SP fuhr mit 16,8 Prozent ihr historisch schlechtestes Ergebnis ein. Mittlerweile haben sich die Sozis aufgerappelt und ihr Lauftempo erhöht. Damit dürften sie ihren zweiten Platz verteidigen.

Für Rückenwind sorgt, dass die soziale Frage deutlich an Bedeutung gewonnen hat. Steigende Mieten, hohe Krankenkassenprämien, stagnierende oder gar sinkende Reallöhne und Renten – das treibt die rote Basis um. Zudem verschafft der Berset-Rücktritt Publicity.

Die SP dürfte im Nationalrat den einen oder anderen Sitz zurückgewinnen, den sie vor vier Jahren an die Grünen verloren hat. In den Kantonen Bern und Zürich beispielsweise, aber auch in Solothurn liegen Rückeroberungen drin. Sorgenkind bleibt die kleine Kammer: Die SP besetzt nur noch sechs Ständeratssitze, halb so viele wie zu ihren besten Zeiten. Allein schon, diese zu halten, wäre ein Erfolg.

FDP stolpert über CS-Debakel

Es war eine steile Ansage von Parteichef Thierry Burkart (48): Die FDP soll 2023 zweitstärkste Kraft werden und die SP vom Silberplatz verdrängen. Tatsächlich kam Burkart gut aus den Startblöcken und den Sozis in früheren Umfragen bedrohlich nahe. Tempi passati!

Der Untergang der Credit Suisse bremst die Freisinnigen. Die SVP sprach genüsslich vom «FDP-Filz». Tatsächlich ist die Partei aus dem Gleichgewicht. Sie fand bislang nur halbwegs auf die Bahn zurück. Als Wirtschaftspartei fehlt ihr ein Thema, mit dem sie punkten kann.

Doch selbst wenn die FDP stagnieren oder Wähleranteile verlieren sollte, bedeutet das nicht zwingend Sitzverluste. Die Listenverbindungen mit der SVP dürften durchaus bei der Sitzverteidigung mithelfen. Und sonst dürfte das Stöckli zum Trostpflaster werden: Dort liegen mehrere Sitzgewinne drin – etwa in Solothurn oder im Tessin. Aber auch in Schwyz, wo Ex-Parteichefin Petra Gössi (47) antritt.

Mitte sitzt der FDP im Nacken

Man darf für Burkart hoffen, dass Konkurrent Gerhard Pfister (60) einen frischen Atem hat! Denn der Mitte-Chef sitzt dem FDP-Präsidenten laut SRG-Wahlbarometer im Nacken. Und er wird alles daran setzen, die FDP vom dritten Platz zu verdrängen.

Profiliert hat sich die Mitte mit einem sozialeren Kurs, etwa beim AHV-Teuerungsausgleich. Und sie sammelt derzeit Unterschriften für zwei Volksinitiativen gegen die Heiratsstrafe bei AHV-Rente und Steuern.

Sollte es fürs Podest nicht reichen, erobert die Mitte zumindest den einstigen vierten Platz der Vorgänger-Partei CVP zurück. Pfisters Kalkül geht auf: Die Fusion von CVP und BDP zur Mitte kommt bei der Basis an. Das neue Label bringt neue Leute in die Partei, die vorher mit der «Katholiken-Partei» nicht viel anfangen konnten.

Grüne stolpern hinterher

Die Klima-Frage verhalf den Grünen 2019 zu einem Erdrutschsieg. Im Nationalrat legten sie von 11 auf 28 Sitze zu. Den Wähleranteil verdoppelten sie mit 13,2 Prozent fast. Mit diesem Riesensprung schob sich die Partei vor die damalige CVP. Doch die Grünen haben die neue Power nicht durchziehen können und müssen den vierten Rang wohl wieder abtreten.

Der Klimawandel bereitet vielen Menschen zwar weiterhin Sorgen, doch die Klimakleber werden für die Grünen zum Stolperstein. Kommt hinzu, dass die Grünen zusammen mit Operation Libero eher unglücklich an einer Europa-Volksinitiative laborieren. Mit einer neuen Solar-Initiative kehren sie zu ihrem Kern zurück. Der Schub kommt zu spät.

Insbesondere in den grossen Kantonen müssen die Grünen mit Sitzverlusten rechnen. Ebenso dort, wo sie sich knapp Sitze sicherten. Im links-grünen Lager stellt sich die Frage, wie stark sich grüne Verluste durch SP-Gewinne kompensieren lassen.

Grünliberale hecheln hinterher

Die GLP hat einen Lauf. Im Windschatten der Grünen konnte sie schon 2019 kräftig zulegen. Ihre Sitzzahl steigerte sich um 9 auf 16. Der Wähleranteil schnellte von 4,6 auf 7,8 Prozent. Und: Anders als die Grünen konnte die zweite Öko-Partei ihren Formstand wahren.

Unter Präsident Jürg Grossen (53) setzt die GLP zwar zur Aufholjagd an, hechelt aber dem selbstgesetzten 10-Prozent-Ziel deutlich hinterher. Auf zusätzliche Nationalratssitze hofft die Partei etwa in Neuenburg, Graubünden, Thurgau und im Aargau. Verluste drohen in der Waadt und in Basel-Stadt.

Schwierig werden dürfte es auch in den Ständeratsrennen in Zürich und Bern. Doch selbst der unwahrscheinliche Wiedereinzug ins Stöckli würde den Grünliberalen wenig nützen. Die Partei muss sich weiterhin mit dem letzten Platz begnügen müssen.

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