Mister Corona über seinen grössten Fehler, Entwicklungshilfe und über seine neue Ehefrau
«Mich plagen Schuldgefühle»

«Wie kann man den Anti-Demokraten Viktor Orban so hofieren?», schimpft Daniel Koch über die SVP. Ein Gespräch über Fehler in der Corona-Zeit, seine neue Ehefrau – und Entwicklungshilfe.
Publiziert: 10.12.2023 um 02:00 Uhr
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Aktualisiert: 10.12.2023 um 11:21 Uhr
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Daniel Koch war zwischen 2008 und 2020 der Leiter der Abteilung Übertragbare Krankheiten beim Bundesamt für Gesundheit.
Foto: Valeriano Di Domenico
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Herr Koch, im ÖV sieht man wieder Menschen mit Maske. Sollten wir alle wieder Maske tragen?
Daniel Koch: Dafür gibt es aus meiner Sicht keinen Grund. Die Zahlen sind nicht so alarmierend, als dass wir eine Maskenpflicht bräuchten.

Kommen wir gut durch den Winter?
Ich bin pensioniert (lacht) und kann nur noch als Privatmann sprechen. Wenn ich die Lage richtig überblicke, sieht es gut aus. Es gibt zwar steigende Corona-Fälle, aber das hat nichts mit der Extremsituation von 2020 zu tun.

In China steigen die Zahlen der Atemwegserkrankungen stark an.
Stand jetzt sehe ich nichts, was uns in der Schweiz beunruhigen sollte. Wir haben das Schlimmste hinter uns.

Was war der grösste Fehler, den Sie als «Mister Corona» gemacht haben?
Aus heutiger Sicht waren die Besuchsverbote in Krankenhäusern und Pflegeheimen ein Fehler. Mich plagen Schuldgefühle, wenn ich daran denke, dass alte Menschen beim Sterben allein gelassen wurden und sich die Angehörigen gar nicht mehr verabschieden konnten. Das können Sie nicht mehr wiedergutmachen.

Während der Corona-Pandemie hatten Sie zum Teil 19-Stunden-Tage. Ist Ihnen als Pensionär langweilig?
Überhaupt nicht. Ich arbeite als Berater und habe auch privat viel zu tun, denn ich habe eine neue Partnerin aus der Ukraine. Ich unterstütze Natalia und ihren Sohn, wo ich nur kann.

Wie haben Sie Ihre Frau kennengelernt?
Ich wohnte allein und hatte Platz. Nach Putins Angriffskrieg auf die Ukraine habe ich mich gemeldet, um Flüchtlinge aufzunehmen. Zu mir kamen Natalias Ex-Mann und ihr gemeinsamer Sohn. Später habe ich dann Natalia kennengelernt, diesen Sommer haben wir geheiratet.

Warum haben Sie Ihre Frau nicht zum Interview mitgebracht?
Wir möchten die Identität ihrer Familie vertraulich behandeln. Natalia kommt aus dem Nordosten der Ukraine, aus einem Ort nahe der russischen Grenze. Hier sprechen auch die Ukrainer russisch und sind damit die grössten Verlierer des Krieges. Sie werden von den Russen angegriffen und müssen gleichzeitig gegenüber Kiew beweisen, dass sie loyale Ukrainer sind. Das alles ist eine grosse Belastung.

Auf Ihrem Pullover prangt das ukrainische Staatswappen, der Dreizack. Sind Sie ein ukrainischer Patriot?
Ich habe den Pullover in der Ukraine gekauft. Der Dreizack steht für den Sturzflug eines Falken. Mir gefällt das Motiv – und natürlich versuche ich, die Ukraine zu unterstützen. So engagiere ich mich für die Stiftung there-for-you.ch.

Sie haben während der Corona-Zeit eng mit Bundesrat Alain Berset zusammengearbeitet. Haben Sie sich bei ihm beschwert, als er mit seinen «Kriegsrausch»-Aussagen zu reden gab?
Nein. Aber ich habe ihm kürzlich ein SMS geschrieben und mich dafür bedankt, dass er nach Kiew gereist ist.

Der deutsche Virologe Hendrik Streeck will 2025 für den Bundestag kandidieren. Warum wechseln Sie nicht in die Politik?
Ich habe hier keine Ambitionen.

Haben Sie Angst, dass die Unterstützung für die Ukraine nachlässt?
Ja. Mich empört, dass der Putin-Versteher Roger Köppel den ungarischen Autokraten Viktor Orban nach Zürich eingeladen hat und alt Bundesräte wie Christoph Blocher und Ueli Maurer Hof halten. Wie kann man einen Anti-Demokraten so hofieren? Das ist doch geradezu unschweizerisch!

Wie könnte sich die Schweiz stärker für die Ukraine engagieren?
Die Schweiz rühmt sich damit, für das Völkerrecht einzustehen. Doch als es darum ging, verwundete ukrainische Soldaten zu versorgen, hiess es auf einmal: Moment, wir wollen nur Zivilisten. Gehts noch? Laut Völkerrecht haben auch verwundete Soldaten Anspruch auf medizinische Hilfe.

Was könnte die Schweiz noch tun?
Wir müssen unser Verständnis von Neutralität überdenken. Die Schweiz verhindert, dass Nato-Länder die Ukraine mit Waffen unterstützt. Gleichzeitig hat die Schweiz kein Problem damit, an Putins schmutzigen Ölgeschäften mitzuverdienen.

Persönlich: Daniel Koch

Der Arzt Daniel Koch (68) war lange Zeit für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz tätig. Von 2008 bis 2020 leitete er die Abteilung Übertragbare Krankheiten beim Bundesamt für Gesundheit und wurde als Mister Corona national bekannt. Seit 2023 ist er mit der Ukrainerin Natalia (40) verheiratet, die einen Sohn (15) hat. Aus einer früheren Ehe hat Daniel Koch zwei erwachsene Töchter.

Der Arzt Daniel Koch (68) war lange Zeit für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz tätig. Von 2008 bis 2020 leitete er die Abteilung Übertragbare Krankheiten beim Bundesamt für Gesundheit und wurde als Mister Corona national bekannt. Seit 2023 ist er mit der Ukrainerin Natalia (40) verheiratet, die einen Sohn (15) hat. Aus einer früheren Ehe hat Daniel Koch zwei erwachsene Töchter.

Militärisch wird es keine schnelle Lösung geben. Wie könnte trotzdem ein Waffenstillstand erreicht werden?
Frieden gibt es nicht ohne Kompromisse. Selenski könnte Putin Folgendes anbieten: Russland zieht sich sofort aus den eroberten Gebieten zurück. Im Gegenzug gibt es in fünf Jahren unter internationaler Aufsicht eine Volksabstimmung darüber, ob die Menschen lieber zu Russland oder zur Ukraine gehören wollen.

Organisationen wie Alliance Sud befürchten, dass wegen des Engagements für die Ukraine weniger Geld für die Entwicklungszusammenarbeit bleibt.
Die Sorge ist berechtigt. Das Parlament will sparen, doch es ist fatal, wenn das auf dem Rücken der Ärmsten geschieht.

Ihr Appell an die Sparfüchsin Karin Keller-Sutter?
Frau Keller-Sutter macht das, was ihr das Parlament befiehlt. Ich richte mich daher an alle Parlamentarier. Ich warne davor, sich rechtspopulistischen Tendenzen hinzugeben, und hoffe darauf, dass die Parlamentarier Mut beweisen. Entwicklungszusammenarbeit ist immer eine langfristige Investition in die Zukunft. Hier gibt es keine schnelle Rendite. Die Schweiz als eines der reichsten Länder der Welt sollte ein Vorbild in Sachen Entwicklungszusammenarbeit sein – und keine Sparfüchsin.

Warum ist das Parlament bei der Ukraine grosszügiger als bei Afrika?
Die Ukraine liegt uns kulturell und geografisch näher. Doch gerade die Rechtspopulisten im Bundeshaus, die weniger Migration wünschen, sollten sich für mehr Geld in der Entwicklungszusammenarbeit starkmachen. Denn stabile Verhältnisse vor Ort sorgen dafür, dass die Menschen sich erst gar nicht auf den Weg nach Europa machen.

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