Alle reden über die Albanerinnen und Albaner. Weil unter ihnen der Anteil Ungeimpfter besonders hoch ist, steht die Community gerade im öffentlichen Gegenwind. Die Absage des Alba-Festivals gestern in Zürich oder der Corona-positive Schweizer Nati-Captain Granit Xhaka haben die Diskussion weiter verschärft.
Doch sind es längst nicht nur Menschen mit Balkan-Hintergrund, die für die europaweit mittelmässige Impfquote verantwortlich sind und die Intensivbetten in den Spitälern füllen. Für den Schweizer Sonderfall sorgen auch diverse andere Gruppen.
SonntagsBlick skizziert, basierend auf sozialen Feldstudien, fünf Idealtypen von Ungeimpften. Sie stehen für die ganze Vielfalt der Verweigererinnen und Verweigerer, zu denen ländliche Urschweizer ebenso gehören wie hippe Städter, Aussteiger und Akademiker.
Eine Gruppe von Ungeimpften, die hier nicht gewürdigt wird, sind all jene Menschen, die tatsächlich aus medizinischen oder sozialen Gründen auf ein Vakzin verzichten müssen.
Der Patriot
Bei ihnen zu Hause stehen noch Aromat und Maggi in der Küche: Die patriotische Fraktion der Ungeimpften dominiert in der ländlichen Schweiz. Gemeinsam sind dieser Gruppe eine währschafte Portion Wissenschaftskritik, ein urchiges Heimatverständnis und ein Flair für Folklore. Die Moderna- und die Biontech-Spritze lösen hier uralte Reduit-Reflexe aus.
Im Rössli-Stumpen-Rauch wird die Covid-Impfung zum Gesslerhut, die Pandemie zum Unterdrückungsinstrument, die Schweiz zur Diktatur. Freiheit bedeutet in diesem Milieu auch die Freiheit, sich selber zu schädigen. Zur Kampfzone des Widerstands gehört die Herrschaft über den eigenen Cholesterinwert, den Alkoholpegel und den BMI ebenso wie das Recht auf das Wort «Mohrenkopf» oder das Recht, «gopfertoori no mal» auf diese Impfung verzichten zu können. Überhaupt stösst alles auf Skepsis, was «die da oben in Bern» beschliessen. Von der Asyl- über die Klima- bis zur Europapolitik. Eine auffällige Sonderkategorie innerhalb dieses Standes bilden die Trychler.
Die Städterin
Sie ist vor allem in urbanen Gefilden anzutreffen: die hippe Enddreissigerin mit tätowierten Gliedmassen, Vintage-Schmuck und szenischer Frisur. Tätig ist sie typischerweise in einem unterbezahlten Teilzeitjob im Kreativbereich, wo sie nach dem abgebrochenen Psychologiestudium landete. Sie lebt durchaus gesundheitsbewusst, ernährt sich im Minimum vegetarisch und verzichtet aufs Fliegen – ausser wenn das alljährliche Yoga-Camp auf Ibiza ruft. Sie möchte sich «keine genverseuchte Chemie» spritzen lassen, meint sie, und ist übrigens genauso skeptisch, wenn es um Sonnencreme für ihre beiden Kinder Lennox und Loulou geht.
Überhaupt sind ihr diese ganzen Konzerne suspekt, der Wirtschaft traut sie nicht.
Dass sie sich in den wilden Nullerjahren an Elektro-Partys schaufelweise Pillen und Pülverchen unbekannter Herkunft reingepfiffen hat, sieht sie nicht als Widerspruch. Na ja, vielleicht ein bisschen.
Der Esoteriker
Er gehört zur konsequenteren Gattung der Impfverweigerer: In seiner Welt zwischen Räucherstäbchen, Klangschalen und Batiktüchern existiert Schulmedizin sowieso nicht. Eine Corona-Erkrankung? Die kommt womöglich von schlechtem Karma, verstopften Chakren oder 5G-Antennen.
Da er sich gewöhnlich über Alternativmedien und an Symposien mit indisch klingenden Namen informiert, hält er die Pandemie für eine Erfindung der Pharmalobby. Alain Berset ist deren Marionette und Daniel Koch das Produkt einer seltenen Sternenkonstellation. Gegen gesundheitliche Probleme braucht es kein BAG, die lassen sich mit Bachblüten, Astralreisen, Globuli oder einer ordentlichen Tantra-Massage lösen.
Nur in zwei Lebensbereichen setzt der Esoteriker auf Konventionelles: Er benutzt einen Apple-Computer und besorgt sich heimlich Importfleisch beim Discounter.
Die Unpolitische
Eine eher unauffällige Gruppe, die sich aber durch alle Bildungs- und Sozialschichten zieht, sind die unpolitischen Impfverweigerer: Ihre Motive sind vielfältig, sie reichen von der Angst vor der Spritze über das Misstrauen gegenüber deren Inhalt bis zur reinen Trittbrettfahrerei – die anderen sind ja geimpft, warum soll ich?
Ihrem Umfeld tischen sie verschiedenste Begründungen auf, weshalb sie nicht geimpft sind. Keine Zeit gehabt! Bin nicht dazu gekommen! Der Nutzen ist ja eh umstritten! mRNA-Technologie wurde doch gegen Krebs und nicht gegen Viren entwickelt! So lauten einige Sprüche. Postmoderne Beliebigkeit als individuelles Wunschkonzert.
Wer diesem Lager angehört, geht nicht an Querdenker-Demos und glaubt nicht an Verschwörungstheorien. Es handelt sich nicht selten um gebildete Leute in der Mitte der Gesellschaft, die ihre Position erst zögerlich im Verlauf eines Gesprächs offenlegen. Sie sind vorsichtig, weil sie in Job, Familie und Freundeskreis täglich Umgang mit Geimpften haben.
Der Freak
Diese Gruppe der Ungeimpften ist vielleicht die kleinste, mit Sicherheit aber die lauteste in der Öffentlichkeit: die Freaks. Hier reden wir von einem Sammelbecken für Outlaws, Aussteiger und Abgedriftete: Der völkisch denkende Arzt, die radikalisierte Kapitalismusgegnerin und der Goa-Veteran mit halluzinogenen Spätfolgen sind nur drei Beispiele. Typischerweise ist der Angehörige dieser Kategorie männlich, bewegt sich in einer weltanschaulichen Käseglocke und hat sich die vorherrschende Gesellschaft, ihre Politiker und Medien zu Feinden erklärt. Auch pathologische Fälle werden beobachtet.
Die Freaks treffen sich an Anti-Corona-Demos, verstossen aktiv gegen die Maskenpflicht und suchen die Konfrontation – Stichwort Wutbürger. Man hat sich von allen gängigen Konventionen der Mehrheitsgesellschaft verabschiedet.
Punktuelle Überschneidungen gibt es mit den Patrioten und den Esoterikern.