Alles in allem haben sich Bund und Kantone in der Corona-Krise nicht so dramatisch schlecht geschlagen. Zu diesem Schluss kommt ein Evaluationsbericht, den das Bundesamt für Gesundheit (BAG) in Auftrag gegeben hat.
Der Bericht der Firma Interface Politikstudien, der die Phase bis Sommer 2021 untersucht hat, findet aber keineswegs nur lobende Worte. Kritik gibt es für einzelne Massnahmen wie Schulschliessungen, und in der zweiten Welle fallen sowohl Bund als auch Kantone durch. Ein Mittel der Pandemie-Bekämpfung kommt besonders miserabel weg: die Swisscovid-App.
Vernichtendes Fazit
Die Tracing-App war vom Lausanner EPFL-Professor Marcel Salathé (47) mitentwickelt worden und hatte das Ziel, niederschwellig das Contact Tracing zu unterstützen. Wer positiv getestet wurde, erhielt einen Code für die App, die anonymisiert alle App-Nutzer informierte, die sich theoretisch hätten anstecken können.
Soweit in Theorie. Praktisch aber wurde die App laut Bericht viel zu wenig genutzt. Und nicht nur das: «Für etliche Befragte» sei der Nutzen der App unklar geblieben, so das vernichtende Fazit. «Vielfach bleiben Probleme bei der Umsetzung und der Technik in Erinnerung.»
«Potenzial nicht ausgeschöpft»
Bei den Kantonen räumt man denn auch Fehler ein. «Das volle Potenzial der App wurde wohl nicht ausgeschöpft», heisst es bei der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren. Das habe an «vor allem anfänglichen» Unklarheiten und Verzögerungen bei der Generierung der Codes in den Kantonen geführt.
Laut Bericht lag es allerdings nicht an Anfangsschwierigkeiten, dass die App nie zum Fliegen kam. «Die SwissCovid-App hatte einen bescheidenen Nutzen, weil zwischen dem Risikokontakt und der Information über den Kontakt zu viel Zeit verstrich.» Anfangs waren die Kantonsärzte für das Ausstellen der Codes zuständig, die damit aber überfordert waren. Später konnten dies auch Hausärzte oder die Medgate-Hotline übernehmen – dafür musste aber erst eine digitale Lösung entwickelt werden.
Das BAG selbst stellt sich – im Wesentlichen – weiterhin hinter die App, die den Zweck, Infektionsketten zu unterbrechen, erfüllt habe. Die Kritik im Bericht beziehe sich hauptsächlich auf die zweite Welle. Danach, als die Codes breiter ausgestellt worden konnten, habe sich die Situation entspannt. Allerdings räumt das Amt ein, dass man von Beginn an mehr Personen die Berechtigung hätte geben können, Codes auszustellen.
Salathé verteidigt seine App
Für Marcel Salathé ist klar, wo der Fehler lag: nicht bei seiner App. «Die technische Entwicklung hat sich absolut bewährt, da würde ich nichts anders machen», sagt er zu Blick. Weniger bewährt habe sich die Art und Weise, wie die Anwendung von den Behörden genutzt worden sei. «Die App war ein absoluter Fremdkörper im Schweizer Gesundheitswesen», so der Epidemiologe. Einzelne Kantonsärzte hätten sich der Anwendung gleich ganz verweigert. Er sei daher auch nicht überrascht, hielt sich die Wirkung in Grenzen.
Dass die Zuständigen zu wenig bei der Entwicklung einbezogen wurde, lässt Salathé nicht gelten. «Wir hatten nicht Jahre für Beratungen, es kam schliesslich auf die Zeit an. Und die Schweizer Technologie kam extrem schnell – sogar Apple und Google haben diese dann übernommen.»
Das einzige, was er heute anders machen würde, so Salathé, sei die Gestaltung der App an sich. «Sie war wohl zu langweilig, man hätte sie interaktiver gestalten müssen. Sodass sie einen quasi daran erinnert, dass sie funktioniert.»