Die Idee: wunderschön. Eine App, welche die Schweiz aus der Corona-Pandemie führt. Das System: simpel. Infizierte können in der Swisscovid-App einen Code eingeben, danach erhalten alle eine Warnung, die mit dem Infizierten in letzter Zeit Kontakt hatten und die App ebenfalls besitzen. Der Nutzen allerdings: bescheiden.
Seit die App am 25. Juni 2020 lanciert wurde, wurden 121'432 Codes eingegeben. Gleichzeitig wurden 1,6 Millionen positive Corona-Tests bestätigt. Ob die Schweiz ohne App schlechter durch die Krise kommen würde, muss darum infrage gestellt werden.
Ein bis zwei Prozent der Fälle gefunden
Ursprünglich wurde die App lanciert, um beim Contact Tracing zu helfen. Damit sich schützen und testen kann, wer möglicherweise infiziert ist. Als im Sommer 2020 die Infektionszahlen zweistellig und dreistellig waren und es vor allem darum ging, die Fallkurve flach zu halten, hätte die App brillieren können. Ein Jahr später bilanzierte der Zürcher Uni-Professor Viktor von Wyl in einer Studie jedoch, dass dank der App zwischen Januar und April 2021 pro Monat 500 bis 1000 positive Fälle gefunden wurden – oder ein bis zwei Prozent aller Fälle. In derselben Zeit wurden in der Schweiz gesamthaft über 200'00 Personen positiv auf Corona getestet. Frühere Untersuchungen hätten ähnliche Ergebnisse gebracht.
Unterdessen sind die Fallzahlen fünfstellig. Es geht schon lange nicht mehr darum, Corona Tracing zu betreiben, sondern schwere Verläufe zu verhindern. Dafür ist die App nicht gedacht.
Entwickler will mehr Werbung, Bund nicht
Marcel Salathé sieht es anders. Der Epidemiologe hat die App mitentwickelt und sass bis Februar 2021 in der Corona-Taskforce des Bundes. Es gibt kaum ein Interview, in dem er es verpassen würde, auf die App hinzuweisen. Am Mittwoch sagte er in der «Tagesschau», er wünsche sich, die Behörden würden mehr Werbung machen. Die Leute hätten schon lange nichts mehr von der App gehört.
Der Bund sagt gegenüber Blick allerdings, er habe genug Werbung für die App gemacht. Und tatsächlich kann man ihm nicht vorwerfen, die App kleingeredet zu haben. Nebst Inseraten, Plakaten, Influencern und TV-Spots ging man in Bern ganz neue Wege und setzte sogar auf Tiktok, Instagram-Quiz oder Skype-Sessions. Doch Fakt ist: 1,6 Millionen aktive App-Nutzer zählt das Bundesamt für Statistik derzeit. Die Zahl bleibt seit Juli 2020 ungefähr gleich (zu Beginn waren es weniger, was den Bund veranlasste, seine Berechnungsmethode anzupassen). Sie ist aber deutlich vom Ziel entfernt, welches das BAG ursprünglich ausrief: drei Millionen aktive Nutzer.
Zahl der eingegebenen Codes steigt
Trotzdem verteidigt man beim Bund die App. Sie sei nach wie vor aktiv und funktioniere, teilt das Eidgenössische Departement des Inneren (EDI) mit. Fügt aber an, dass sie derzeit insbesondere als Sensibilisierungsinstrument diene.
Dass sie nach wie vor sinnvoll sei, sehe man aber an der Zahl der eingegebenen Covid-Codes. Diese ist in den letzten Tagen angestiegen, derzeit sind es regelmässig zwischen 1000 und 2000 Codes pro Tag. Bei täglich rund 30'000 gemeldeten Infektionen ist aber auch das nur ein Tropfen im Corona-Ozean.
100 Franken pro Code
War das die Investitionen wert? Für den Prototypen und die Entwicklung der Contact-Tracing-Methode standen der EPFL in Lausanne maximal fünf Millionen Franken zur Verfügung, wie Exponenten im Sommer 2020 dem SonntagsBlick erzählten. Hinzu kommen bis zu 7,3 Millionen Franken, die der Bund bis Juni 2022 investiert. Macht rund 12 Millionen Franken oder 100 Franken pro eingegebenen Code.
Aber wie viele Ansteckungen hat die Corona-App bisher verhindert? Das EDI wüsste die Antwort laut eigener Aussage auch gern, eine Analyse sei aus Datenschutzgründen aber nicht möglich. Dafür geht das Amt davon aus, dass pro eingegebenen Code bis zu vier Personen benachrichtigt werden, womit sich «Wirksamkeit und Nutzen der App bestätigt haben». Bloss: Auswertungen der Infoline Swiss Covid zeigen, dass sich in den letzten Tagen pro zwei Codes lediglich eine Person meldete und sagte, gewarnt worden zu sein.
App von Omikron überfordert
Der Nutzen der App dürfte in den nächsten Wochen nicht steigen. Sie ist durch Omikron überfordert. Sie ist so eingestellt, dass man mindestens 15 Minuten lang in bis zu zwei Metern Distanz zu einem Infizierten sein muss, damit eine Warnung aktiviert wird. Das habe bei der Ursprungsvariante des Virus einen Sinn ergeben, aber heute nicht mehr, sagt Entwickler Marcel Salathé der «Tagesschau»: «Mit ansteckenderen Viren können schon in kürzerer Zeit und auf grössere Distanz Ansteckungen stattfinden. Das kann die App dann nicht mehr abfangen, weil sie nicht dafür eingestellt ist.»
Laut Bund sei man daran, die App für die nächsten Wochen und Monate neu zu positionieren und anzupassen. Ein Zeitplan kann nicht genannt werden.