Apotheker Alfred Chappuis (40) aus Naters VS muss in diesen Wochen viele seiner Kunden enttäuschen. Bei vier von fünf Rezepten, mit denen Patienten zu ihm kommen, sei mindestens eines der verlangten Medikamente nicht verfügbar. «Da geht es auch um ganz wichtige Mittel. Teilweise können ganze Wirkstoffgruppen nicht geliefert werden. Hier muss man passende Alternativen finden», sagt Chappuis.
Der Medikamenten-Mangel ist schweizweit ein grosses Problem – für Patientinnen und Patienten, aber auch für Ärzte und Apothekerinnen. Rund 1000 Arzneimittel sind aktuell von Lieferengpässen betroffen. Spezifische ebenso wie häufig verschriebene – auch solche für Kinder. Ein Beispiel ist der fiebersenkende Ibuprofen-Sirup für die Kleinen.
Er recherchierte und tüftelte
Weil dieser nirgends erhältlich ist, stand Apotheker Chappuis selbst ins Labor. Er recherchierte das Sirup-Rezept, trieb die Wirkstoffe auf, tüftelte am Geschmack – bis er einen selbstgemachten Ibuprofen-Sirup hatte, der nicht nur wirkt, sondern auch seiner Tochter schmeckt. Daneben bietet er weitere Medikamente aus seiner Eigenproduktion an.
Früher stellten Apothekerinnen und Apotheker selber Medikamente her. Inzwischen tun das, von Bronchialpastillen und wenigen anderen Mitteln abgesehen, nur noch wenige. Die aktuellen Lieferschwierigkeiten könnten Anstoss dazu sein, dass sich das wieder ändert, glaubt Chappuis. Finanziell sonderlich lohnenswert ist das allerdings nicht. Apotheken dürfen von Gesetzes wegen höchstens 1000 Stück eines Medikaments pro Jahr selbst herstellen – und nur der eigenen Kundschaft verkaufen.
Doch wer zahlt?
Auch Lukas Korner (41), er betreibt mit seiner Frau in Gränichen AG eine Apotheke, kann seine Kunden jetzt mit hausgemachten Medikamenten versorgen. Bereits 2019 hatten sie ein Labor in Betrieb genommen. «Damals sagte uns jeder, wir spinnen. Denn heutzutage rentiert es sich eigentlich nicht, selber Medikamente herzustellen», sagt Korner, Präsident des Aargauer Apothekerverbands. «Aber jetzt sind wir wahnsinnig froh, dass wir die Möglichkeit haben.»
Allerdings: Nicht immer ist die Krankenkasse bereit, für das selbstgemachte Arzneimittel zu zahlen. Die Abrechnung ist ein grosser Zankapfel zwischen Apotheken, Bund und Krankenkassen. Seit 1996 wurden die entsprechenden Tarife nicht mehr angepasst, und je nach Kasse werden die Kosten nur in bestimmten Fällen vergütet. Ein Beispiel: «Um den Algifor-Sirup herzustellen, muss ich Algifor-Tabletten mörsern, sieben und daraus einen Sirup herstellen. Einfach den puren Wirkstoff nehmen und zu Sirup verarbeiten geht nicht – dann zahlen gewisse Versicherer nicht», sagt Korner.
BAG verspricht Besserung
Das sei «hirnrissig», findet auch Enea Martinelli (57), Vizepräsident des Schweizerischen Apothekerverbands (Pharmasuisse). Zwar hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) den Kassen in einem Brief Anfang Jahr klargemacht, unter welchen Umständen sie für Hausmedikamente zahlen müssen. Doch aus Sicht der Apotheken ist die Situation noch immer nicht zufriedenstellend.
Am Mittwoch versammelte sich unter der Federführung des Bundesamts für wirtschaftliche Landesversorgung zum ersten Mal eine neu gegründete Taskforce zum Thema Medikamentenengpässe. «Jetzt muss endlich etwas gehen. Es reicht», macht Martinelli Druck auf den Bund.